Mordechaj Gebirtig (ursprünglich jiddisch Mordechaj Bertig beziehungsweise deutsch Markus Bertig; geboren am 4. Mai[1] 1877 in Krakau, Österreich-Ungarn; gestorben am 4. Juni 1942 im Ghetto Krakau) war ein jüdisch-polnischer Dichter und Komponist.
Gebirtigs Eltern waren Kaufleute in Krakau. Bis zum Alter von zehn Jahren besuchte er in seiner Geburtsstadt eine traditionelle jüdische Grundschule und musste dann eine Lehre als Tischler absolvieren. Schon früh interessierte er sich für Literatur. Seine ersten Texte verfasste er 1906 im Organ des Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbundes, später schrieb er Rezensionen für eine Theaterzeitung.
Als Tischler reparierte Gebirtig alte Möbel und lebte mit seiner Frau Blumke und den drei Töchtern in Krakau im Stadtteil Kazimierz, in der Ul. Berka Joselewicza Nr. 5. Tagsüber hobelte er an Möbeln und nachts am jiddischen Lied, sagen Zeitgenossen.
Hinsichtlich seiner literarischen Bildung war Gebirtig Autodidakt. Seine Lieder komponierte er auf einer kleinen Flöte. Seine Freunde Julius Hofman und Baruch Sperber notierten seine Einfälle. 1920 veröffentlichte er die erste Liedersammlung Folkstimlech. Über 90 Lieder hat der „letzte jiddische Barde“ der Nachwelt hinterlassen. „Der Bogen reicht vom schlichten Kinderlied, zu bacchantischen Trinkliedern bis hin zum fordernden Arbeiterlied, so z. B. der ‚Arbetlosemarsch‘. Er schrieb sie in seiner Muttersprache Jiddisch. Nicht die romantisierende Schtetl-Welt ist es, die Gebirtig in seinen Liedern aufleben läßt, sondern das Leben der kleinen Leute im jüdischen Stadtteil Krakaus, in Kazimierz von der Zeit vor dem Krieg bis hin zum Holocaust.“[2] Er schrieb bis 1942 immer noch neue Texte.
Im gleichen Maße, wie sich die Situation der jüdischen Bevölkerung in Polen in den 1930er Jahren verschlechterte, änderten sich die Inhalte von Gebirtigs Liedern. „Sie wurden schärfer, ironischer und politischer, ohne jedoch die Hoffnung und den Humor zu verlieren.“ So schrieb er 1938 als Reaktion auf ein Pogrom im nahegelegenen Stetl Przytyk das Lied „Undzer shtetl brent,“ in dem er zum Widerstand aufruft. Und im Nachhinein klingt es wie die Voraussicht auf den nahen Untergang seiner Welt.
Als Gebirtig im Oktober 1940 Kazimierz verlassen musste, verewigte er seinen Abschiedsschmerz in dem Gedicht Blayb gezunt mir, kroke: „Bleib gesund mir [= Lebe wohl], Krakau, ich seh heut zum letzten Mal dich und alles, was mir lieb ist, an meiner Mutter Grab das Herz sich ausgeweint, es ist so schwer zu gehen.“[3]
Am 4. Juni 1942 wurde Mordechaj Gebirtig bei einer Aussiedlungsaktion zusammen mit seinem Künstlerkollegen, dem Maler Abraham Neumann, im Krakauer Ghetto auf offener Straße von einem deutschen Besatzungssoldaten erschossen.
Nach der Shoah blieben rund 170 seiner Werke erhalten, darunter Wiegen- und Schlaflieder, Kinder- und Liebeslieder sowie Arbeiter-, Antikriegs- und Protestsongs. Etwa 90 davon wurden schon zu seinen Lebzeiten veröffentlicht. Gebirtigs Lieder haben laut der Wuppertaler Edition Künstlertreff „überlebt und nichts an Aktualität eingebüßt, sind Hoffnung und Mahnung zugleich. Sie führen uns auf eindringliche, ja auf liebevolle Weise in die jüdische Welt Osteuropas, die durch den Holocaust völlig vernichtet wurde. Die Liebe zu den Menschen macht das Gesamtwerk dieses genialen und außergewöhnlichen Dichters unverzichtbar für die Zivilisation und die Kultur des Erinnerns.“
So findet sich beispielsweise das Stück S’brennt (ס'ברענט) im Repertoire der experimentellen Rock- und Klezmer-Musikgruppe Oi Va Voi sowie der Liedermacherin Bettina Wegner, die auch sein Lied Hungerik dain Ketzele interpretiert hat. Eine Instrumentalversion von ufm oifn sitz a maidl bildet den letzten Teil des Stückes Knöterich von SPILWUT. Eine von der israelischen Metal-Band Salem aufgenommene Version von S’brennt mit dem Titel Ha’ayara Bo’eret (העיירה בוערת) führte zu einer nationalen Kontroverse, die sogar die Knesset erreichte, wo diskutiert wurde, ob es für eine Metal-Band angemessen sei, solche Lieder zu spielen.[4] Die Berliner Klezmer-Band Daniel Kahn & The Painted Bird nahm 2010 für ihr Album Lost Causes mehrere auf Gebirtigs Kompositionen basierende Lieder auf. Ebenso die Wiener Gegenstimmen, die den Arbetlosemarsch 2003 aufnahmen. Zusätzlich ist Mordechaj Gebirtig Autor des Liedes Kinderjahre (jiddisch קינדער יארן), das die Kindheit jüdischer Kinder in Krakau beschreibt. Ensemble DRAj hat seine 2006 erschienene CD nach diesem Lied kinderjorn betitelt und außer diesem zwei weitere Stücke Gebirtigs (Wer der erschter wet lachn und Awremele un Josele) eingespielt.
2014 wurde auf private Initiative ein Museum im ehemaligen Wohnhaus von Mordechai Gebirtig eingerichtet. Der Publizist Uwe von Seltmann plante einen Film über Gebirtig, der 2017 zum 75. Todestag veröffentlicht werden sollte.[5] Die Finanzierung des Projekts scheiterte jedoch und der Film konnte nicht vollendet werden.
Personendaten | |
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NAME | Gebirtig, Mordechaj |
ALTERNATIVNAMEN | Bertig, Markus (Geburtsname) |
KURZBESCHREIBUNG | polnischer Poet und Komponist |
GEBURTSDATUM | 4. Mai 1877 |
GEBURTSORT | Krakau |
STERBEDATUM | 4. Juni 1942 |
STERBEORT | Ghetto Krakau |