Cherry Bomb ist die Debütsingle der ausschließlich weiblich besetzten US-amerikanischen Rock-Band The Runaways. Das Lied erschien 1976 auf dem ebenfalls The Runaways betitelten Debütalbum. Die Bewertung des Songs in der westlichen Welt war gemischt, wobei die aus fünf Teenagern bestehende Formation einen schlechten Ruf erlangte, nicht zuletzt dank der als trashig empfundenen Dessous, die ihre Frontfrau Cherie Currie beim Vortrag des „[zornigen] Liedes über sexuelle Rebellion“ auf der Bühne trug.[18] In Japan hingegen belegte das Stück Platz 1 der Musikcharts. Das Lied entwickelte sich zum signature song der Band,[19] einem identitätsprägenden Titel mit hohem Wiedererkennungswert, wurde jedoch später wegen seines Einflusses auf das Image der Band zu einem Streitpunkt unter ihren Mitgliedern.
Cherry Bomb | |
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The Runaways | |
Veröffentlichung | 1976 |
Länge | 2:16 |
Genre(s) | Hard Rock, Punk-Rock |
Text | Joan Jett, Kim Fowley |
Produzent(en) | Kim Fowley |
Label | Mercury Records |
Album | The Runaways |
Coverversionen | |
1984 | Joan Jett and The Blackhearts[1][2] |
1990 | Crashland[1][3] |
1992 | Cocknoose[1][4] |
1992 | Bratmobile[1][5] |
1995 | Shonen Knife[1][6][7] |
1995 | Jayne County[1][8] |
1996 | Steve and The Jerks[1][9] |
2009 | Miley Cyrus[10][11] |
2010 | Deadly Seven[1] |
2010 | Verbal + Yoon[1][12] |
2011 | Moon Violet[1][13] |
2011 | The Dandy Warhols[1][14] |
2012 | The Lightnin 3[1][15] |
2014 | Scary Cherry and the Bang Bangs[1][16] |
2017 | Wannabeastar[1][17] |
Cherry Bomb |
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Single-Cover, japanische Version |
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Um die Entstehung des Titels ranken sich zahlreiche Geschichten, von denen die Beteiligten im Laufe der Jahre mehrere und voneinander abweichende Versionen berichteten. Der Musikproduzent und exzentrische Svengali[20] Kim Fowley suchte 1975 nach einer Alternative für die Bassistin Michael „Micki“ Steele, die damalige Sängerin der sich gerade formierenden Rockband The Runaways, die aus der gemeinsamen Initiative der 16-Jährigen Joan Jett und Sandy West für eine rein weiblich besetzte Musikgruppe hervorging; ein „noch nie gemachter Vorschlag“,[21] der „zu dieser Zeit als undenkbar galt“.[22] In Bezug auf die äußere Erscheinung der neuen Sängerin schwebte Fowley eine „Brigitte Bardot des Rock ’n’ Roll“ vor.[23]
In Rodney Bingenheimer’s English Disco am Sunset Strip in Los Angeles, ein von der dortigen Glam-Rock-Subkultur frequentiertes Etablissement,[24] trafen Fowley und Jett[25] die zu dieser Zeit zwischen 15[26] und 16[27] Jahre junge, dünnleibige Cherie Currie[Anmerkung 1] mit blonder Zottelfrisur, großen Augen und einem extrovertierten, am Glam orientierten Stilbewusstsein,[28] die in Verhalten und Aussehen an David Bowie in seiner Rolle als Ziggy Stardust erinnerte.[29] Er lud sie zum Vorsingen in seine Garage im kalifornischen San Fernando Valley ein, für das sie einen Song von Suzi Quatro vorbereiten sollte.[19]
Currie hatte Quatros Titel Fever gewählt, eine Coverversion des Liedes der Sängerin Peggy Lee.[30] Jedoch stellte sich heraus, dass die anderen Bandmitglieder Joan Jett, Sandy West, Lita Ford und Kari Krome den Titel nicht zu spielen wussten, darüber hinaus wies er ein zu langsames Tempo für die Rockmusikerinnen auf und wurde mit deutlicher Missbilligung aufgenommen. Trotz ihres wilden Stils war Currie auch der Popmusik zugeneigt, so schlug sie laut West als Alternative einen Barry-Manilow-Song vor, den die Musikerinnen der Band ebenfalls unmissverständlich zurückwiesen.
Die am weitesten verbreitete Geschichte ist, Jett und Bandmanager Fowley hätten daraufhin vor Ort innerhalb kürzester Zeit das Lied Cherry Bomb unter dem Eindruck von Curries Erscheinung und ihrem Vornamen für ihr Vorsingen komponiert,[31] was die Autorin des 2013 erschienenen Buches Queens of Noise: The Real Story of The Runaways, Evelyn McDonnell, für unwahrscheinlich hält. Fowley sagte an anderer Stelle, er habe den Song in der Nacht vor der Probe geschrieben, und zwar ausdrücklich für das Vorsingen von Currie. Krome berichtete, ein Teil des Liedes basiere auf einem Text, den sie zu dieser Zeit bereits verfasst hatte. Peggy Foster, zeitweilige Bassistin der Runaways, erinnerte sich, dass die Melodie später im Studio ausgearbeitet wurde. Auf dem Cover des Debütalbums The Runaways wird die Komposition des Liedes Jett und Fowley zugeschrieben.[19]
Fowley reichte Currie einen Zettel mit dem Liedtext und führte ihr eine Tanzsequenz im Mick-Jagger-Stil vor, die sie anwenden sollte. Currie, die keine Banderfahrung hatte, trug das Lied vor, wobei sie den Anfang des Refrains stotterte, ähnlich dem Titel Changes von David Bowie. So sang sie
“Hello Daddy, hello Mom
I’m your ch- ch- ch- ch- ch- ch- cherry bomb
Hello world, I’m your wild girl
I’m your ch- ch- ch- ch- ch- ch- cherry bomb.”
„Es lag Rock-’n’-Roll-Magie in der Luft“, sagte Fowley später.[32] Die Band stimmte ab, und obwohl Lita Ford nach der Fever/Manilow-Erfahrung noch immer skeptisch war, waren sich die Runaways am Ende einig: Michael Steele war raus, Cherie Currie war drin.[19]
Einige Wochen später, am Nachmittag des ersten Auftritts der Band im Nightclub Starwood in West Hollywood, holte Currie ihr erstes Korsett aus dem dem Veranstaltungsort gegenüberliegenden Wäschegeschäft ab. Als Currie zum ersten Mal ihr Outfit vorführte, lehnte sich Fowley überrascht zurück und sagte ihr: „In diesem Outfit wirst du nicht nur Cherry Bomb singen, du wirst die Cherry Bomb sein.“[33]
Zum Text des Songs schrieb die Musikwebsite songfacts.com: „Eine Cherry Bomb ist ein bei Kindern beliebter Knallkörper, aber im Kontext dieses Liedes steht der Begriff für ein minderjähriges Mädchen, das viel Ärger bereitet – in diesem Fall verspottet es seine Eltern und andere Erwachsene mit Andeutungen von Promiskuität und schlechtem Benehmen.“[34] Nach Evelyn McDonnell war Cherry Bomb auf Cherie Currie zugeschnitten: „Der Kracher-Titel spielt auf Cheries Namen an, verweist frech auf den Jargonausdruck für Jungfernhäutchen und macht Lust auf den Auftritt der blonden Sexbombe.“[35]
Nach Joan Jett wurde „‚Cherry Bomb‘ [so] für Cherie geschrieben, damit sie ihre Bühnenpose mit dem [um ihr Bein kreisenden] Mikro geben konnte“[36] für die sie Unterricht von einem Choreografen erhielt.[37] Kim Fowley drückte es für sich so aus: „‚Cherry Bomb‘ wurde nach einer knallheißen bitch benannt, die dort oben [auf der Bühne] ihre eigene Animalität besingt.“[38] Der Musikautor Chris O’Leary sah in Cherry Bomb „das Antwortlied“ der Runaways auf David Bowies Song Rebel Rebel.[39]
Während sich im Text des Liedes Betrachtungen von sexueller Freiheit mit denen von sexuellen Hemmnissen abwechseln, bewegt sich die den Text unterlegende Musik zwischen Metal und Punk.[40] „Ein schweres Riff begleitet einen stetigen Schlagzeugbeat durch das gesamte Lied, der in ein schmetterndes Gitarrensolo von [Lita] Ford mündet. Im Hintergrund dieses Solos ertönt mehrfach ein orgasmisches Stöhnen, das den Gedanken bestärkt, dass Rock ’n’ Roll nicht im Kopf, sondern im Schritt entsteht“, so die Meinung von Abbi Wynsma, Musikdirektorin der Radiostation WDBM Impact 88.9 an der Michigan State University.[41]
Die Aufnahme des Liedes Cherry Bomb mit einem Tempo von 137 bpm in der Tonart H-Dur[42] fand im Zuge der Produktion des ersten Albums der Band im Tonstudio Fidelity Recording von Artie Ripps in Studio City, Kalifornien statt. Fowley hatte sich wegen der derben Atmosphäre des Studios für die Aufnahmen hier entschieden: „Wir waren im B-Raum, der ein umgebauter Lagerraum war. Es war schrecklich. Aber es war nicht beängstigend. Es war die Art von Studio, aus dem man ein Garagenprodukt haben wollte. Viele junge Bands gehen in Studios mit Kronleuchtern und roten Samtteppichen und einer Empfangsdame, die besser aussieht als sie selbst, und sie sind entsetzt. Aber wenn du einen Raum betrittst, in dem sie ihr Zeug lagern, wirst du nicht eingeschüchtert sein. Du wirst einfach angeben wie ein Sack Seife [und sagen]: ‚Was für ein Saftladen. Aber was solls, wir haben doch auch schon an anderen miesen Orten gespielt. Das hier ist nichts Neues [für uns].‘“[43]
Die Bandbesetzung bei der Aufnahme war
Fowley hatte den Bassisten der Band Blondie, Nigel Harrison, für die Studioaufnahmen verpflichtet. Die eigentliche Bassistin der Band, Jackie Fox, wirkte nur im Begleitgesang mit und sagte später: „Ich glaube, Kim [Fowley] wusste nicht so recht was er von mir erwarten konnte, da ich gerade erst der Band beigetreten war. Angesichts des knapp bemessenen Aufnahmebudgets wollte er sein Risiko minimieren […]“. Dabei habe er nicht nach der Perfektion gestrebt, die aus Fox’ Sicht für eine „bestmögliche Aufnahme“ des Titels erreichbar gewesen wäre.[44]
Aufnahmeleiter war der Cheftechniker des Studios, Andy Morris, dem für die Aufnahme des Titels folgende Ausrüstung zur Verfügung stand[27]
Die Single Cherry Bomb erschien 1976 auf dem Label Mercury Records mit dem Titel Blackmail auf der B-Seite.[45] Das Musikvideo zum Titel zeigt die Band bei einem Auftritt auf einer abgedunkelten Bühne in vielfarbiger Beleuchtung vor einem schwarzen Hintergrund. Cherie Currie trägt ein weißes Korsett, Netzstrümpfe und Plateauschuhe, tanzt und singt, während die anderen Bandmitglieder um sie herum in Rockposen ihre Instrumente spielen.[46]
Die Band hatte in westlichen Ländern aufgrund ihres Bad-Girl-Images als eine Gruppe von unanständigen, ungezogenen Mädchen anfänglich nur moderaten Erfolg, der vorwiegend von der Kritik begleitet war, dass es sich bei dem lasziv vorgetragenen Titel lediglich um Jailbait-Rockmusik handele.[47] In den australischen Musikcharts erreichte ihre Singleauskopplung Cherry Bomb Platz 57[48] und in den Billboard Bubbling Under Hot 100 Charts Platz 6.[49]
Charts (1976–1977) | Bestplatzierung |
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Japanische Musikcharts[24] | 1 |
VH1’s 100 Greatest Hard Rock Songs[50] | 52 |
Australien (Kent Music Report)[48] | 57 |
US Billboard Bubbling Under Hot 100[51] | 6 |
Im Kontrast hierzu feierten The Runaways in Japan große Erfolge. Als die Band im Sommer 1977 zu ihrer Tournee in das Land reiste, hatte sie sich Hörerumfragen zufolge bereits als viertbeliebtester westlicher Act in Japan etabliert.[52] Die Musikerinnen, die nicht zuletzt dank der Popularität von Cherry Bomb[53] vor ausverkauften Häusern spielten,[54] wurden von ihrer euphorisierten Fangemeinde mit einem an Beatlemania erinnernden[55] frenetischen Empfang begleitet[52] und wie Angehörige von Königshäusern behandelt.[56] Im Gegensatz zur Anhängerschaft der Band in anderen Ländern, die sich hauptsächlich aus jungen Männern zusammensetzte, bestand die Fangemeinde in Japan fast ausschließlich aus jungen Frauen, die in den Runaways ein Beispiel für starke, freimütige junge Frauen sahen, die keine Angst vor Autoritäten zu haben schienen.[52] In der Folge stieg der Titel Cherry Bomb auf Platz 1 der japanischen Charts.[24]
Obwohl die Bandmitglieder während ihrer gemeinsamen Zeit in der Band sich nicht als Feministinnen bezeichneten, waren ihre Ziele jedoch durchaus mit den Zielen des Feminismus vereinbar, was die Durchsetzung weiblicher Stärke und die Gleichberechtigung von Musikerinnen anbelangt. Sie bekannten sich in ihrer Musik zu ihrer Sexualität und kontrollierten, wie sie sich dem Publikum präsentierten, ungeachtet dessen, wie andere sie sahen, darunter auch ihr Manager Fowley.[57] Autorin Darra Goldstein meinte: „A car in ‚cherry‘ condition; virginity as a ‚cherry‘ to lose (ein Auto im ‚Kirschzustand‘, also ‚unbeschädigt‘ oder ‚wie neu‘; Jungfräulichkeit als ‚Kirsche‘, also ‚Schadlosigkeit‘, die man verlieren kann) – die ausschließlich weiblich besetzte Rockband packte diese so oft gängelnde, beschönigende Bezeichnung für Reinheit und Güte in den Titel ihres Ohrwurms über explosive Weiblichkeit, in der es keine Scham für Begehren gibt und Sexualität normal ist, so singen die Frauen ‚Hello world, I’m your wild girl!‘ (Hallo Welt, ich bin dein wildes Mädchen!) und verlangen von der Welt, damit einfach klar zu kommen.“[58]
Cherry Bomb ist ein Coming-out-Song, in dem sich die Sängerin als the girl next door (das Mädchen von nebenan) bezeichnet, „[that will] have ya, grab ya til you’re sore“ (das dich haben und packen wird, bis du wund bist).[57] Daneben ruft sie andere junge Frauen dazu auf, es ihr gleich zu tun: „Get down ladies, you’ve got nothin’ to lose“ (Genießt es, Ladies, ihr habt nichts zu verlieren); nicht nur für das eigene Glücksgefühl, sondern auch um mutlose männliche Subjekte der Begierde unverblümt zum Anbandeln zu motivieren: „Hey, street boy, what’s your style? Your dead end dreams don’t make you smile“ (Hey, Junge auf der Straße, treffe ich deinen Geschmack? All deine aussichtslose Träumerei zaubert dir nicht gerade ein Lächeln auf die Lippen).[59] Ihre mit Textstellen wie „I’m the fox you’ve been waiting vor“ (Ich bin der heiße Feger, auf den du gewartet hast) angedeutete sexuelle Verfügbarkeit mag vor allem männlichen Zuhörern gefallen haben, aber Currie und The Runaways nährten damit zudem die Vorstellung, dass ein offenes Ausleben ihrer Sexualität als ein Modell weiblicher Selbstbehauptung allen Frauen zum Wohl gereichen konnte, was das Publikum ansprechend und überzeugend fand.[28]
1976 galten derartige Texte, die eine weibliche Person mit sexueller Selbstbestimmung beschrieben, als revolutionär. Der Refrain zeigt, dass dieses Mädchen endlich den Teil von sich entdeckt hat, von dem ihre Eltern und ihre Kultur bisher glaubten, dass er nicht existiert. Der Titel des Liedes deutet zudem darauf hin, dass die Sängerin noch Jungfrau ist, denn er bezieht sich auf den Ausdruck losing one’s cherry (die Jungfräulichkeit verlieren), der als Slangbegriff üblicherweise verwendet wird, um den ersten Geschlechtsverkehr einer Person zu beschreiben.[57] Mit ihrer Hymne Cherry Bomb, aber auch mit anderen Titeln, kamen The Runaways „wie der Albtraum aller Eltern daher“[60] und verschoben die Grenzen der gängigen Sicht auf die Sexualität junger Mädchen.[61]
Während ihrer Tourneen durch die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Japan wurden alle Mitglieder der Runaways von der Musikpresse kritisch beobachtet, wobei Sängerin Currie die weitaus meiste Aufmerksamkeit auf sich zog. Bandmanager Fowley hatte eine verführerische Aura um die Gruppe konstruiert, in der Currie als Cherry Bomb – die Verkörperung der „kurz vor der Explosion stehenden Teenager-Sexualität“ – die Hauptperson darstellte und zur Unterstreichung dieses Images bei Konzerten mit einem weißen Korsett und schwarzen Netzstrümpfen nur leicht bekleidet auftrat.[62] Currie nahm die ihr zugewiesene Rolle anfangs nur zögerlich an, fand jedoch bald Gefallen an ihr. Rückblickend auf ihre Erfahrungen mit den Runaways sagte Currie: „Der Bad-Girl-Jailbait-Aspekt von Kim [Fowleys] Werbetrommel hat mich nie gestört, […] er hat es auf den Punkt gebracht. […] Ich war zu dieser Zeit [unglaublich jung und] sehr rebellisch, deshalb war Cherry Bomb der perfekte Song für mich.“[63] „Mir war klar, dass das Tragen eines Korsetts bei diesem Song den Titel voranbringen würde, wozu es dann ja auch kam.“[64]
Die männerdominierte Rockpresse schrieb jedoch, Cherry Bomb sei als „gekünstelte Scherzartikelnummer auf Schlampenniveau“ durchgefallen.[65] Kritiker Harry Doherty von der Musik-Zeitschrift Melody Maker meinte, dass die für die Vermarktung wichtigste Eigenschaft der Runaways „im Wesentlichen ihre Promiskuität“ sei und „ihr Talent und ihr Potenzial maßlos überschätzt“ seien.[66] Als bei einem Konzert in San Diego junge Männer im Publikum auffielen, die während des Auftritts der Band onanierten, nahm die Berichterstattung der Musikpresse „bizarre Auswüchse“ an, bei denen Charles M. Young in seinem Leitartikel im amerikanischen Musikmagazin Crawdaddy den Musikerinnen die Schuld hierfür zuwies, da aus seiner Perspektive die Band bei Live-Auftritten mit Liedern wie Cherry Bomb „eine fast schon zu aufdringliche, direkte sexuelle Herausforderung“ darstelle.[Anmerkung 2][67]
Nachdem Currie 1977 die Runways nach dem dritten Album der Band verlassen hatte,[27] entwickelte sich der Stellenwert von Cherry Bomb als Erkennungsmelodie der Band zu einer strittigen Angelegenheit. Ihr Ausstieg war vor allem auf den Unmut der anderen Runaways über Curries Status als öffentliches Gesicht der Band zurückzuführen, nicht letztlich auch wegen des Covers des Debütalbums, auf dem sie allein abgebildet war.[62] Mit seinem Bandmarketing, das zweifelsfrei auf den Sexappeal der Band abzielte, wollte Fowley erreichen, dass die Welt über die jungen Frauen sprach und dass lecherous men (lüsterne Männer) ihre Konzerte besuchten. Zu diesem Zweck hatte Fowley einen Fototermin für Currie in ihrem Cherry-Bomb-Outfit im Garten ihres Hauses arrangiert, an das sich Currie so erinnerte: „Es war ein viel gewagteres Shooting als alles, was je ein amerikanischer Fotograf zuvor mit mir versucht hatte, und ich erinnere mich, dass ich mich dabei unwohl fühlte.“ Sie dachte, „der Fotograf wird wissen, was er tut“, bis ihre Großmutter sie unterbrach, den Fotografen anschrie und ihn mit ihrem Stock attackierte, woraufhin er davonlief.[66] Diese Aufnahmen wurden anlässlich der Japantournee dort in einem Heft veröffentlicht. Als die anderen Bandmitglieder, die nichts von der Fotosession wussten, die schlüpfrigen Bilder in ihrem Tokioter Hotel zum ersten Mal zu Gesicht bekamen, waren sie außer sich vor Wut, was einen weiteren Keil zwischen Currie und den Rest der Band trieb.[68]
Nach dem Ausscheiden der Sängerin bemerkte Joan Jett, die darauf meist den Leadgesang übernahm,[69] hierzu: „Sie sah unsere Gruppe als ‚Cherie Currie und ihre Back-up-Band‘. Wenn es nach ihr gegangen wäre, würden wir vier hier mit Masken vor den Gesichtern sitzen, ohne dass man erkennen könnte, wer zum Teufel wir sind.“[70] Das Problem war aber nicht nur, dass Currie zu viel Aufmerksamkeit bekam, sondern auch, dass sie ein Image mit sich brachte, das der Band als Ganzes nicht zuträglich war. Als einen Grund dafür, dass The Runaways viel in der Kritik standen und als Musikerinnen oft nicht ernst genommen wurden, benannte Jett „dieses ganze ‚Cherry-Bomb-mit-dem-Korsett-Ding‘ von Cherie“.[71]
Die verbliebenen Runaways hatten Schwierigkeiten, sich als Band neu zu definieren. Bei einem ihrer Konzerte in Großbritannien Ende 1977 wurde die Aufführung nach neun Liedern unterbrochen, nachdem ein Teil des Publikums mit „Ausziehen!“-Rufen[72] die Band aufgefordert hatte, ihre Kleidung abzulegen. Phil Sutcliffe von der britischen Musikzeitschrift Sounds missbilligte derlei Grobheiten – die Grenze von „Sexy“ zu „Sexismus“ sei hier überschritten worden – und berichtete, dass sich die Situation doch noch in „einen gewissen Sieg für die Band“ wandelte. Mit den nächsten drei Liedern brachten die Musikerinnen das Publikum wieder mit Musik in Schwung, das seine Zustimmung mit Headbanging und Pogo bekundete. Sie gaben noch zwei Songs als Zugabe und beendeten die Show, ohne jedoch den Titel Cherry Bomb gespielt zu haben.[62] Joan Jett entschuldigte sich verschmitzt beim Publikum: „Tut mir leid, wir haben unsere Korsetts nicht mitgebracht.“[73] Sutcliffe schrieb: “… and they were through. No ‘Cherry Bomb’” (deutsch: „… und das war’s. Kein(e) ‚Cherry Bomb‘.“)[62]
Unter dem missbräuchlichen, ausbeuterischen und übergriffigen Management von Kim Fowley,[74] das mit der Rekrutierung der Musikerinnen mit aus seiner Sicht „gimmickhaftem Marketingpotential“[75] und dem Titel Cherry Bomb begonnen hatte,[76] waren die jungen Künstlerinnen schnell ausgebrannt.[24] Nach zwischenmenschlichen Spannungen, künstlerischen Differenzen über die musikalische Ausrichtung und Machtkämpfen innerhalb der Band[77] sowie insgesamt fünf Studioalben innerhalb von drei Jahren[24] lösten sich The Runaways im April 1979 endgültig auf;[78] Erschöpfung von den ständigen Reisen und jahrelanger ungezügelter Konsum einer Vielzahl verschiedener Drogen wie Methaqualon, Kokain und Alkohol hatten ihr Übriges hierzu beigetragen.[79] 2017 blickte die Autorin Ann M. Savage zurück: „Die talentierten Rockerinnen, die von der zu dieser Zeit fast ausschließlich männlich dominierten Rockmusikpresse häufig belächelt wurden, hatten einen nachhaltigen Einfluss auf das Genre.“[80] Die meisten Mitglieder der Band schlugen weiterführende Karrieren als Musikerinnen oder in der Unterhaltungsbranche ein.[78]
Der Titel Cherry Bomb ist nach der Auflösung der Band bis in die jüngere Vergangenheit (Stand 2021) ein fester Bestandteil der Live-Repertoires von Joan Jett, Cherie Currie und Lita Ford geblieben.[81]
Joan Jett nahm das Lied Cherry Bomb mit ihrer Band The Blackhearts für ihr 1984 erschienenes Album Glorious Results of a Misspent Youth erneut auf[82] und übernahm es in das Repertoire für Konzerte der Band. 1993 führte Jett das Stück zusammen mit der Band L7 auf.[83] Jett trug das Lied 2001 nach 24 Jahren das erste Mal wieder zusammen mit Cherie Currie bei einem Livekonzert in Anaheim, Kalifornien vor.[84] Bei ihrer Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame im Jahr 2015 sang Jett den Song, wobei sie von Dave Grohl begleitet wurde.[85]
1994 kamen Cherie Currie, Jackie Fox und Sandy West für ein Konzert im Rockclub Whisky a Go Go in West Hollywood zusammen, bei dem sie auch Cherry Bomb spielten.[86] Cherie Currie nahm das Lied zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Marie Currie noch einmal auf und veröffentlichte diese Version 1997 auf dem Album Messin’ with the Boys.[87] Weitere Versionen des Liedes mit Curries Gesang folgten 2003 mit The Streetwalkin’ Cheetahs[1][88] und mit Marky Ramone und Wayne Kramer im Jahr 2006.[1][89] Anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Rockclubs Whisky a Go Go 2013 spielten Currie und Lita Ford das Lied live zusammen mit dem Gitarristen Slash.[90] Im gleichen Jahr führten die beiden Musikerinnen den Song auf den Malibu Music Awards auf, bei denen Currie den Rock Legend Award erhielt.[91] Beim M3 Rock Festival 2014 in Columbia (Maryland) hatten sie einen weiteren Gig zusammen, auf dem sie den Titel gemeinsam vortrugen.[92]
Das Lied ist darüber hinaus die Vorlage für eine Vielzahl von Coverversionen anderer Künstler (siehe auch die Infobox am Artikelanfang).
Zudem wurde der Titel in zahlreichen Film-, Fernseh- und Computerspielproduktionen benutzt. Bereits 1976 lief es in dem Film Dawn: Portrait of a Teenage Runaway.[93] 1993 wurde es in dem in den 1970er-Jahren spielenden Film Confusion – Sommer der Ausgeflippten (Originaltitel: Dazed and Confused) verwendet.[94] In der Filmbiografie The Runaways von 2010 spielten Dakota Fanning als Cherie Currie und Kristen Stewart als Joan Jett und trugen das Lied vor.[95] In dem Science-Fiction-Actionfilm Guardians of the Galaxy von 2014 diente der Titel zur Untermalung von Filmszenen.[96] Auch für den 2018 erschienenen Film A Futile and Stupid Gesture wurde das Lied genutzt, ebenso wie für den Film Fear Street – Teil 2: 1978 von 2021.[97]
Die Version von Joan Jett war 1992 in der Folge Free Fall der Serie Highlander zu hören, in der Jett die unsterbliche Felicia Martins darstellte.[98] Der Song spielte außerdem in jeweils einer Folge der Fernsehserien O.C., California von 2006,[99] True Blood aus dem Jahr 2012,[100] Lucifer von 2017[101] und The Boys von 2019.[102] Madelaine Petsch, Camila Mendes und Vanessa Morgan sangen das Lied 2019 in der 4. Staffel der Serie Riverdale.[103]
Für das 2010 erschienene Videospiel Guitar Hero 6: Warriors of Rock sangen Joan Jett und Cherie Currie das Lied Cherry Bomb gemeinsam ein.[104] Das Videospiel Lollipop Chainsaw von 2012 verwendete den Song in der Version von Joan Jett.[105]
Autorin Emily Nyberg schrieb 2015: „The Runaways zündeten eine Cherry Bomb in der Rockindustrie. Als eine der ersten, ausschließlich weiblich besetzten Bands gehörten [die Bandmitglieder] zu den [wichtigen] Pionieren des Rockgenres der 1970er Jahre. […] [Sie] betraten das [für Frauen] ungewohnte Terrain dieses üblicherweise von Männern dominierten Genres. Sie nutzten ihre Sexualität als ein Mittel um ihre Musik männlichen Zuhörern zugänglich zu machen und um so ‚weniger bedrohlich‘ zu erscheinen, wobei sie zum Takt von Heavy Rock Lieder über weibliche Befreiung und Rebellion sangen. The Runaways waren eine zweifelsfrei subversive Band und ihre Musik passte in dieses ohnehin rebellische Genre. Es gelang ihnen mit ihrem internationalen Erfolg die stereotypischen Muster zu zerlegen, welche die Rockmusikindustrie, die sie nicht gleich willkommen hieß, für sie bereithielt.“[106]
Nach Autor Philip Auslander ist Cherry Bomb ein Lobgesang auf weibliche Unabhängigkeit und sexuelle Aggression, wie ihn auch Suzi Quatro hätte schreiben und vortragen können.[107]
Abbi Wynsma, Musikdirektorin der Radiostation WDBM Impact 88.9, hielt 2021 folgendes fest: „[Cherry Bomb] ist aus gutem Grund in Erinnerung geblieben. Es ist egal, ob wir das Jahr 1976 oder 2021 schreiben, das Konzept von jungen Frauen, die furchtlos kundtun, wer sie sind und was sie wollen, wird nach wie vor in Frage gestellt. Es ist also keine Überraschung, dass der Ruf ‚Hello world, I’m your wild girl!‘ (Hallo Welt, ich bin dein wildes Mädchen!) auf diejenigen, die einer patriarchalischen Gesellschaft jeden Tag die Stirn bieten wollen, nach wie vor extrem kraftvoll und inspirierend wirkt.“[108]
Cherry Bomb ist Teil der Auflistung Rock Song Index: The 7500 Most Important Songs for the Rock and Roll Era von Bruce Pollock.[109]
Als Zeichen ihrer Verbundenheit mit Cherry Bomb ließ sich Currie kurze Zeit nach ihrem Eintritt in die Band bei Sunset Tattoo eine von ihrer Zwillingsschwester Marie entworfene Kirsche auf die Frontseite ihrer rechten Schulter tätowieren.[110]
Rocksängerin und Gitarristin Courtney Love gestand 2010 in einem Interview mit der Musikzeitschrift Mojo, dass sie im Alter von 10 Jahren eine Single des Titles Cherry Bomb aus einem Schallplattengeschäft in Eugene (Oregon) gestohlen hatte.[111]
Joan Jett • Sandy West • Lita Ford • Laurie McAllister | |
Michael Steele • Cherie Currie • Jackie Fox • Vickie Blue | |
Studioalben | The Runaways (1976) • The Runaways / Atlanta Rhythm Section - The Runaways / Red Tape (1976) • Queens of Noise (1977) • Waiting for the Night (1977) • And Now… The Runaways (1978) |
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Livealben | Live in Japan |
Kompilationsalben | Wanted (1977) • The Runaways, Legs Diamond (2) - Rock On! (1977) • Rock Heavies (1979) • Rock Legends (1980) • The Runaways With Cherie Currie - Flaming Schoolgirls (1980) • The Runaways Featuring Joan Jett - Mama Weer All Crazee Now (1981) • Joan Jett and the Runaways - I Love Playing with Fire (1982) • The Best of the Runaways (1982) • The Runaways / Queens of Noise (1988) • Neon Angels (1989) • The Runaways (1997) • The Best of the Runaways (2005) • Japanese Singles Collection (2008) • The Mercury Albums Anthology (2010) • Flaming Schoolgirls • Born to be Bad (1991) |
Soundtracks | Fear Street – Teil 2: 1978 • Edgeplay: Film About Runaways • Dawn: Portrait of a Teenage Runaway • Confusion – Sommer der Ausgeflippten • Highlander (Fernsehserie), eine Folge • The Runaways |
Singles | Secrets (1976) • Cherry Bomb (1976) • Blackmail / Cherry Bomb / American Nights / Secrets (1976) • Cherry Bomb/American Nights (1976) • Waitin’ for the Night (1977) • I Love Playin’ with Fire (1977) • Queens of Noise (1977) • Neon Angels on the Road to Ruin (1977) • Heartbeat (1977) • All Right You Guys (1977) • School Days (1977) • Little Sister (1977) • Midnight Music (1977) • You Drive Me Wild / Rock And Roll (1977) • American Nights (1978) • Mama Weer All Crazee Now (1978) • Right Now / Black Leather (1979) |