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Erich Marckhl (* 3. Februar 1902 in Cilli, Österreich-Ungarn; † 8. Juli 1980 in Graz) war ein österreichischer Musikwissenschaftler und Komponist.


Leben


Erich Marckhl studierte Germanistik, Philosophie und Musikwissenschaft an der Universität Wien und promovierte dort im Jahr 1925 zum Dr. phil.[1] Von 1926 bis 1936 arbeitete er als Erzieher an der Bundes-Erziehungsanstalt Wien XIII, ehemals Kadettenschule, wurde aber aus politischen Gründen entlassen (Mitgliedschaft bei der illegalen NSDAP).[2][A 1] Er lehrte darauf von 1937 bis 1939 an der Hochschule für Lehrerbildung in Dortmund. 1939 wurde er „Fachinspektor für Musik an Höheren Schulen“ in Wien, 1940–45 Professor für Musikerziehung an der Wiener Reichshochschule für Musik (heute Universität für Musik und darstellende Kunst Wien). An den Musiklehranstalten Wien richtete er ein Seminar für Musikerziehung und eine provisorische Lehramtsprüfungskommission ein.

Auf Grund seiner nationalsozialistischen Vergangenheit blieb er 1945 zunächst stellenlos und lebte mit Unterstützung durch die Familie von Gottfried von Einem in Ramsau am Dachstein (1945/46) und in Plomberg am Mondsee (1946–48). In der Folge gelang es ihm jedoch bereits Ender der 1940er, vor allem aber in den 1950er Jahren, einflussreiche und zentrale Posten im steirischen Musikleben zu besetzen. 1948 wurde Marckhl Leiter, 1949–52 Direktor der Städtischen Musikschule in Kapfenberg.[A 2] Ebenfalls im Jahre 1948 wurde ihm das neu eingerichtete kleine Seminar für Musikerziehung am Landeskonservatorium (heute Johann-Joseph-Fux-Konservatorium) in Graz übertragen. Seit 1952 war Marckhl im Vorstand des Musikvereins für Steiermark.[3] Am 1. Juli 1952 wurde Marckhl zum Landesmusikdirektor für Steiermark berufen, in Personalunion leitete er auch das steirische Volksmusikschulwesen. 1953 gründete Marckhl das Studio für Probleme zeitlich naher Musik in Graz. Im Rahmen dieser Konzertreihe, die bis 1975 Bestand hatte, wurden zahlreiche zeitgenössischen Werke ur- und erstaufgeführt, darunter Luigi Dallapiccola, Mátyás Seiber und Gottfried von Einem.[4] Als einer der prominentesten Vertreter der internationalen Avantgarde war 1957 der damals 32-jährige Pierre Boulez im Rahmen des Studios zu Gast in Graz, hielt einen Vortrag und spielte seine 1. Klaviersonate.[A 3] 1957 übernahm Marckhl zusätzlich die Leitung des Landeskonservatoriums Graz, das auf seine Initiative hin 1963 zur Akademie für Musik und darstellende Kunst (heute Universität für Musik und darstellende Kunst Graz) aufgewertet wurde, mit Marckhl als ersten Präsidenten (bis 1971). Im Jahre 1965 begründete er die Expositur eines Kultur- und Hochschulzentrums in Oberschützen im Burgenland.[5]


Rolle im Nationalsozialismus


Erich Marckhl war ein Anhänger der NS-Ideologie der ersten Stunde. Bereits 1920 nahm er an einem sogenannten Grenzlandlager der Deutschen Studentenschaft in Eibiswald teil, einem Ort in der Südweststeiermark unmittelbar in der Nähe der slowenischen Grenze.[6] Die Erlebnisse in Eibiswald sowie die dortigen Kontakte zu Personen wie dem Dichter Hans Kloepfer, dem Schriftsteller Josef Papesch (beide Mitglieder der NSDAP) oder dem späteren Kulturpolitiker Hanns Koren schildert Marckhl ausführlich in seinen Lebenserinnerungen.[7] 1933 trat er dem NS-Lehrerbund und damit auch der NSDAP bei.[8] Im Frühjahr wird er in Wien als illegaler Nationalsozialist enttarnt und vom Schuldienst suspendiert. Er entzieht sich weiteren Ermittlungen und einer eventuellen Verantwortung vor Gericht durch Flucht nach Deutschland. „Wie viele andere geflüchtete österreichische Nationalsozialisten wird Marckhl im Dritten Reich gut versorgt und erhält eine akademische Anstellung an der Hochschule für Lehrerbildung in Dortmund.“[9] Seine Zeit in Dortmund schildert Marckhl in seinen Lebenserinnerungen, Dabei erwähnt er auch seine frühe Mitgliedschaft in der NSDAP: „Den Mitgliedern des Lehrerkollegiums in Dortmund galt ich als heimatvertriebener Nationalsozialist. Ich war ja auch Parteimitglied und hatte als solches eine 'schöne Nummer'“.[10] Unmittelbar nach der Okkupation Österreichs, dem sogenannten Anschluss, kommt Marckhl wieder nach Wien und dort rasch in verschiedene Positionen, unter anderem als Fachinspektor für Musik, aber auch in den HJ-Rang eines „Obergefolgschaftsführers“.[11] In seiner Rolle als Fachinspektor ist mindestens ein Fall nachgewiesen, in dem Marckhl die Zulassung eines Kandidaten zum Studium verhindert hat, nachdem dieser als gelegentlicher Jazz-Musiker denunziert worden war.[12] Das ist umso pikanter, als dass Marckhl in seiner Funktion als späterer Präsident der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Graz (jetzt Kunstuniversität Graz) 1964 eine Abteilung für Jazz mit initiiert hat. Im Rahmen von NS-Organisationen wie „Kraft durch Freude“ oder dem Nationalsozialistischen Lehrerbund hielt Marckhl regelmäßig Vorträge.[13] Der Komponist Marckhl schrieb 1938 das Chorlied „Der Führer“.[14]


Zeit nach 1945


Nach Ende des Zweiten Weltkriegs fand der beschäftigungslose und mit Berufsverbot belegte Marckhl Unterstützung durch den Komponisten Gottfried von Einem. Das ist insofern kein Zufall, denn von Einem setzte sich für eine Reihe von noch prominenteren NSDAP-Mitgliedern und stark Belasteten ein, unter anderen für den Regisseur Heinz Tietjen oder die Dirigenten Wilhelm Furtwängler, Karl Elmendorff oder Karl Böhm.[15] In Graz kam Marckhl Ende der 1940er Jahre rasch wieder in zentrale Positionen des Musiklebens. Dabei dürfte es sich als äußerst hilfreich erwiesen haben, dass die Personalakten aus der Wiener Zeit als verschollen und in der Folge weitere Unterlagen als verschwunden galten.[16] Marckhl profitierte „im Zuge der Entnazifizierung als sogenannter ‚Minderbelasteter‘ 1948 von der Amnestie, sodass unter seiner Leitung am Landeskonservatorium ein Seminar für Musikerziehung eingerichtet werden konnte.“[17] Marckhls Stellvertreterin wurde die Pianistin Johanna Seelig – ein deutliches Zeichen für die auch nach 1945 noch bestens funktionierenden NS-Seilschaften. Seelig gehörte zum engen Kreis um den ehemaligen Leiter der von den Nationalsozialisten gegründeten Hochschule für Musikerziehung in Graz-Eggenberg, Felix Oberborbeck, und hielt bis zu ihrem Tod 1977 engen Kontakt mit diesem sowie zu ehemaligen Studierenden und Lehrkräften, die meisten NSDAP-Mitglieder oder der NS-Ideologie nahestehend.[18]

Erst 2019 – und damit zwei Jahre nach den politisch brisanten Veröffentlichen von Boris von Haken – wurde an der Musikuniversität Graz ein Projekt zur Erforschung des Lebens und Wirkens von Marckhl gestartet.[19][A 4] Die Ergebnisse wurden unter dem Titel Erich Marckhl - Musikausbildung in der Steiermark nach 1945. Brüche und Kontinuitäten veröffentlicht.[20]


Auszeichnungen



Literatur





Anmerkungen


  1. Marckhls nationalsozialistische Vergangenheit beleuchtet Boris von Haken in dem Aufsatz "In Stein gemeißelt. 200 Jahre Kunstuniversität Graz", in: Quer. Architektur und Leben im urbanen Raum 24 (2017), S. 9–11.
  2. Zum Aufbau der Musikschule in Kapfenberg in den 1950er Jahren siehe auch Harald Kaufmann: Neue Musik in Steiermark, Graz 1957, S. 67–69.
  3. Über den Auftritt von Boulez sowie über den von Dallapiccola berichtet Harald Kaufmann in: Neue Musik in Steiermark, S. 91–93.
  4. siehe dazu auch den Aufsatz von Susanne Kogler, Julia Mair, Juliane Oberegger und Johanna Trummer, „Erich Marckhl – Musikausbildung in der Steiermark nach 1945. Brüche und Kontinuitäten“, in: Freie Beiträge zur Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung 2019, hrsg. von Nina Jaeschke und Rebecca Grotjahn (= Musikwissenschaft: Aktuelle Perspektiven). Bericht über die Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung 2019 in Paderborn und Detmold, Bd. 1, Detmold 2020, S. 150–157. Online: abgerufen am 29. Januar 2022.

Einzelnachweise


  1. Barbara Boisits: Marckhl, Erich. In: Oesterreichisches Musiklexikon online. Abgerufen am 22. Februar 2021.
  2. Biografie von Erich Marckhl auf ÖSTERREICHISCHER KUNSTSENAT. Abgerufen am 16. Januar 2022.
  3. Harald Kaufmann: Eine bürgerliche Musikgesellschaft. 150 Jahre Musikverein für Steiermark, Graz 1965, S. 168.
  4. Harald Kaufmann: Neue Musik in Steiermark, S. 73–77.
  5. Geschichte der KUG. Universität für Musik und darstellende Kunst Graz, abgerufen am 10. Januar 2022.
  6. Boris von Haken. In Stein gemeißelt. 200 Jahre Kunstuniversität Graz, in: Quer. Architektur und Leben im urbanen Raum 24 (2017), S. 9.
  7. Ericht Marckhl: Bericht über mein Leben I, Archiv der Kunstuniversität Graz, Teilnachlass Marckhl, Sig. UAKUG/TEM_001, S. 3c und 3e.
  8. von Haken, S. 10.
  9. von Haken, S. 10.
  10. Erich Marckhl: Bericht über mein Leben II, Archiv der Kunstuniversität Graz, Teilnachlass Marckhl, Sig. UAKUG/TEM_002, S. 17.
  11. von Haken, S. 10
  12. von Haken, S. 11.
  13. Helmut Brenner: Musik als Waffe? Theorie und Praxis der politischen Musikverwendung, dargestellt am Beispiel der Steiermark 1938-1945, Graz 1992, S. 256 und 323.
  14. Fred K. Prieberg, Handbuch Deutsche Musiker 1933-1945, Kiel 2009, 2. Auflage, S. 4754.
  15. Thomas Eickhoff: Mit Sozialismus und Sachertorte. Entnazifizierung und politische Verhaltensmuster nach 1945 in Österreich, in: Deutsche Leitkultur Musik? Zur Musikgeschichte nach dem Holocaust, hg. Von Albrecht Riethmüller, Stuttgart 2006, S. 90.
  16. von Haken, S. 11.
  17. 20 Jahre Kunstuniversität Graz abgerufen am 27. Oktober 2022.
  18. Christa Brüstle (Hg): 'Musikerinnen in Graz und in der Steiermark', Graz 2020, S. 117.
  19. Erich Marckhl – Musikausbildung in der Steiermark nach 1945. Brüche und KontinuitätenUniversität für Musik und darstellende Kunst Graz, abgerufen am 16. Januar 2022.
  20. S. Kogler, J. Mair, J. Oberegger, J. Trummer (Hg.): Erich Marckhl - Musikausbildung in der Steiermark nach 1945. Brüche und Kontinuitäten, Graz 2022.
  21. Großer Österreichischer Staatspreis für Musik - Preisträger auf Bundesministerium Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport (abgerufen am 22. Februar 2021)
  22. Inschrift Deutschordenshof, Durchgang: Erich Marckhl 1971 (abgerufen am 22. Februar 2021)
  23. EhrenringträgerInnen der Stadt Graz auf Internetpräsenz der Stadt Graz (abgerufen am 22. Februar 2021)
Personendaten
NAME Marckhl, Erich
KURZBESCHREIBUNG österreichischer Musikwissenschaftler und Komponist
GEBURTSDATUM 3. Februar 1902
GEBURTSORT Cilli
STERBEDATUM 8. Juli 1980
STERBEORT Graz



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