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Johannes Ghiselin alias Verbonnet (auch Verbonetto, Barboneto) (* um 1455 in der Picardie; † zwischen 1507 und 1511 wahrscheinlich in Flandern) war ein franko-flämischer Komponist und Sänger der Renaissance.[1][2]


Leben und Wirken


In einer Gehaltsliste der Kathedralkapelle in Florenz findet sich bei Ghiselins Namen der Zusatz „da Piccardia“, woraus sich seine Herkunft ergibt. Seinen weiteren Namen „Verbonnet“ hat er selbst gelegentlich seinem Namen hinzugefügt; auch ist eine Reihe von Kompositionen unter diesem Namen überliefert. Dieser zweite Name könnte sich auf seinen Geburtsort beziehen; dieser konnte jedoch bisher nicht ermittelt werden. Auch scheint er, anders als viele Komponisten seiner Zeit, kein Kleriker gewesen zu sein, mit der Folge, dass Informationen über seinen Lebenslauf, insbesondere über seinen frühen Jahre und seine Ausbildung, gering geblieben sind. Aus seiner Chanson „Je l'ay empris“, welche die Devise von Karl dem Kühnen (Regierungszeit 1467–1477) zitiert, lässt sich ein möglicher Bezug zur burgundischen Hofkapelle vermuten. Nachdem er in Guillaume Crétins Déploration auf den Tod von Johannes Ockeghem im Jahr 1497 mit aufgeführt ist (hier Jean Verbonnet genannt), wurde auch vermutet, dass er zu dessen Schülerkreis gehört haben könnte.

Erst für das Jahr 1491 gibt es die ersten direkten Belege über Johannes Ghiselin, der um diese Zeit in der Hofkapelle von Ferrara bei dem musikbegeisterten Herzog Ercole I. d’Este (Regierungszeit 1471–1505) diente. In einem Brief vom 10. Juli 1491 aus Reggio wandte sich Ghiselin, der sicher schon einige Jahre zum Hof des Herzogs gehörte, an seinen Dienstherrn mit der Bitte um ein Benefizium in Rubiera für seinen kleinen Sohn: „... da ich, weil verheiratet, dafür nicht berechtigt sein würde, ersuche ich Eurer Exzellenz zu geruhen, damit meinen kleinen Sohn Hercules zu versorgen, damit er den Weg der Tugend dank Eurer Hoheit folgen kann“. Ob Ghiselin mit seiner Petition Erfolg hatte, ist nicht bekannt. Für eine enge Bindung des Komponisten an den Hof sprechen auch die Instrumentalkomposition „L'Alfonsina“ mit Bezug zum Sohn Alfonso des Herzogs sowie die Entsendung des Komponisten nach Frankreich durch Isabella d'Este im gleichen Jahr, um dort zwei junge Sänger für die Hofkapelle zu gewinnen. Kurz nach seiner Rückkehr hat Ghiselin Ferrara verlassen.

Ab Oktober 1492 war Ghiselin Sänger am Baptisterium San Giovanni, an Sanctissima Annunziata und an der Kathedrale in Florenz und war damit Kollege von Heinrich Isaac. Mit der Auflösung des Ensembles im März 1493 verlor er seine Stellung. Nachdem er bestehende Schulden an einen gewissen Bonaventura di Mostro aus Ferrara nicht zurückzahlen konnte, wurde er inhaftiert und kam erste durch den Einspruch von Herzog Ercole im April 1493 wieder auf freien Fuß.

Auf Grund von Indizien schließen Musikhistoriker, dass sich der Komponist anschließend nach Frankreich gewandt hat und dort Mitglied der königlichen Hofkapelle wurde. Dies ergibt sich aus seiner Vertonung des Gedichts „Le cueur la suyt“ von Octovien de Saint-Gelais, das er 1493 anlässlich der erzwungenen Rückkehr von Margarethe von Österreich von Paris nach Brüssel für sie geschrieben hat. Auch deutet die erwähnte Nennung seines Namens in Crétins Deploration zusammen mit anderen Mitgliedern der französischen Hofkapelle darauf hin. Außerdem haben sich Ghiselin und Alexander Agricola im Februar 1494 gemeinsam am Hof von Alfonso II. in Neapel aufgehalten, wobei Agricola nachweislich aus Frankreich angereist war. In einem Brief vom 21. Juli 1501 nannte der Botschafter Ferraras am französischen Hof, de Cavalieri, Ghiselin einen Sänger des französischen Königs. Mit diesem Brief sandte der Botschafter auch eine Komposition Ghiselins zu Fronleichnam nach Ferrara; dieses Werk ist nicht überliefert. Die weiterhin guten Beziehungen des Komponisten zum Hof in Ferrara führten auch dazu, dass der Ferraneser Botschafter im September des gleichen Jahres weitere Kompositionen bekam, darunter auch eine von Josquin Desprez, welche mit Brief vom 25. September nach Ferrara geschickt wurden. Als Josquin wenig später auf das Angebot des Herzogs einging, maestro di cappella der Hofkapelle in Ferrara zu werden, bekam Ghiselin den Auftrag, diesen von Frankreich nach Ferrara zu begleiten; beide machten dabei im Haus des Gesandten Mantuas in Lyon Station, der dann am 12. April 1503 in einem Brief von der prächtigen Equipage berichtete, mit der die beiden Komponisten reisten.

Wegen dieser Vorgänge ist es sicher, dass Ghiselin und Josquin ein engeres Verhältnis zueinander hatten und Ghiselin ab dieser Zeit wieder in die Dienste von Ercole I. zurückgekehrt war. Weil auch der Verleger Ottaviano dei Petrucci nach einem Individualdruck für Josquin im Jahr 1503 den nächsten Druck für Ghiselins Messen durchführte – eine besondere Ehre für einen Komponisten –, ist eine Mitwirkung Josquins an dieser Entscheidung naheliegend. Als Josquin im Frühjahr 1504 Ferrara verließ und Jacob Obrecht für den Posten des maestro di cappella gewonnen werden konnte, war es auf Grund von Briefen wohl wieder Ghiselin, der Obrecht im Herbst 1504 aus dem Norden nach Ferrara begleitete. Nachdem aber in Ferrara im Jahr 1505 die Pest ausbrach, hat Ghiselin den Hof der d'Este spätestens dann endgültig verlassen, während Obrecht in Ferrara blieb und dort verstorben ist. Der letzte Beleg über Ghiselins Vita vom Jahr 1507 zeigt ihn in einer Gehaltsliste als Mitglied der Bruderschaft Onze Lieve Vrouwe (Unserer Lieben Frau) in Bergen op Zoom in Flandern, wobei die Höhe des ausgezahlten Betrages auf eine Mitgliedschaft seit mindestens einem Jahr hindeutet. Die Gehaltslisten der Bruderschaft für die Jahre 1508 bis 1510 sind verlorengegangen, und auf der Liste von 1511 erscheint sein Name nicht mehr. Weil auch seit 1505 keine weiteren Werke von ihm erschienen sind, wird daraus geschlossen, dass Johannes Ghiselin zwischen 1507 und 1511 verstorben ist.


Bedeutung


Auf den zeitgenössischen Ruhm Ghiselins deutet der Druck von fünf seiner sechs überlieferten Messen durch den Verleger Petrucci im Jahr 1503 hin. Der nachweislich enge persönliche Kontakt zu Josquin führte auch zu gehäuften musikalischen Beziehungen zwischen einzelnen Werken beider Komponisten, während in seinen früheren Werken eine starke Orientierung am Vorbild von Johannes Ockeghem nachweisbar ist. In den fünf gedruckten Messen ist eine außerordentliche Vielfalt der Kompositionsmethoden anzutreffen: Umfangreiche Cantus-firmus-Messe, extrem konsequente Durchführung der Hexachorde, Ansätze zur Parodiemesse, Bemühungen um besondere Klanglichkeit, Einbeziehung von Choralzitaten. Besonders in seinem Spätwerk, der Messe „Ghy syt die wertste“, wo das Prinzip der Parodiemesse gegenüber dem Cantus-firmus-Prinzip gänzlich in den Vordergrund rückt, wird streckenweise eine kontrapunktische Dichte erreicht, die erst bei der nachfolgenden Komponistengeneration zum stilistischen Hauptmerkmal wird.

In seinem Motettenschaffen zeigt sich Ghiselin als typischer Komponist des ausgehenden 15. Jahrhunderts mit seiner Vorliebe für die Dreistimmigkeit (nur die wenigen Spätwerke sind vierstimmig), sowohl bei den geistlichen Motetten, insbesondere den Marien-Motetten, als auch bei den weltlichen Stücken. Auch hier ist die Bemühung um motivische Durchdringung und satztechnische Rationalisierung erkennbar. Eine Sonderstellung besitzt die Komposition „Dulces exuviae“, eine Vertonung der Klage der Dido aus Vergils Aeneis, angeregt von der Vergil-Begeisterung von Isabella d'Este. Hier wird die Gliederung der Verszeilen besonders deutlich nachvollzogen und eine eindringliche, zwischen Homophonie und Polyphonie fein ausbalancierte musikalische Schreibweise angewandt.


Werke


Gesamtausgabe: Johannes Ghiselin – Verbonnet. Opera omnia, herausgegeben von Clytus Gottwald, ohne Ortsangabe 1961–1968 (= Corpus mensurabilis musicae Nr. 23)


Literatur





Quellen


  1. Klaus Pietschmann: Ghiselin alias Verbonnet, Johannes. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 16 (Strata – Villoteau). Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a. 2006, ISBN 3-7618-1136-5 (Online-Ausgabe, für Vollzugriff Abonnement erforderlich)
  2. Marc Honegger, Günther Massenkeil (Hrsg.): Das große Lexikon der Musik. Band 8: Štich – Zylis-Gara. Herder, Freiburg im Breisgau u. a. 1982, ISBN 3-451-18058-8.
Personendaten
NAME Ghiselin, Johannes
ALTERNATIVNAMEN Verbonnet, Johannes; Verbonetto, Johannes; Barboneto, Johannes
KURZBESCHREIBUNG franko-flämischer Komponist und Sänger der Renaissance
GEBURTSDATUM um 1455
GEBURTSORT unsicher: Pikardie, Frankreich
STERBEDATUM zwischen 1507 und 1511
STERBEORT unsicher: Bergen op Zoom (Flandern), Belgien

На других языках


- [de] Johannes Ghiselin

[en] Johannes Ghiselin

Johannes Ghiselin (Verbonnet) (fl. 1491–1507) was a Flemish composer of the Renaissance, active in France, Italy and in the Low Countries. He was a contemporary of Josquin des Prez, and a significant composer of masses, motets, and secular music. His reputation was considerable, as shown by music printer Ottaviano Petrucci's decision to print a complete book of his masses immediately after his similar publication of masses by Josquin – only the second such publication in music history.

[es] Johannes Ghiselin

Johannes Ghiselin (Verbonnet) (fl.1491-1507) fue un compositor flamenco del renacimiento, activo en Francia, Italia y los Países Bajos. Fue contemporáneo de Josquin des Prés, un importante compositor de misas, motetes y música secular. Su reputación era considerable sabido por la decisión del impresor Ottaviano Petrucci de imprimir un libro completo de sus misas inmediatamente después de una publicación similar de misas de Josquin (la segunda publicación de la historia).



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