Albert (Hermann) Dietrich (* 28. August 1829 im Forsthaus Golk bei Meißen; † 20. November 1908 in Schöneberg[1]) war ein deutscher Komponist und Dirigent.
Albert Dietrich, Fotografie um 1890 (Bild: NLA, Abt. Oldenburg)Geburtshaus von Albert Dietrich in Golk bei Meißen.
Leben
Frühe Jahre und Ausbildung
Albert Dietrich wurde als Sohn des königlich-sächsischen Revierförsters Hermann Dietrich und seiner Ehefrau Carolina geb. Heydeck geboren. Er erhielt schon in jungen Jahren Musikunterricht durch einen Hauslehrer und ab 1842 seinen ersten Unterricht in Komposition an der Kreuzschule in Dresden, u. a. bei dem Kreuzkantor Julius Otto. Während seines Studiums der Rechtswissenschaften in Leipzig nahm Dietrich ab 1847 Privatunterricht am Leipziger Konservatorium bei Ignaz Moscheles, Julius Rietz und Moritz Hauptmann[2], und wurde im Winter 1847/48 Mitglied der Leipziger Universitäts-Sängerschaft zu St. Pauli (heute Deutsche Sängerschaft).[3]
Freundschaft zum Schumannkreis
1851 ging Dietrich nach Düsseldorf und wurde Schüler von Robert Schumann. Dieser widmete ihm 1853 die Komposition Märchenerzählungen (op. 132). Dietrich gehörte zum engsten Freundeskreis um Clara Schumann, Joseph Joachim und Johannes Brahms und erlebte den geistigen Zusammenbruch Robert Schumanns aus nächster Nähe. In diesem Kreis lernte er seine zukünftige Frau Clara Emilie Sohn (* 11. November 1834 in Düsseldorf) kennen, eine Tochter des Malers Karl Ferdinand Sohn, die er am 15. August 1859 in Düsseldorf heiratete. Beide hatten zwei Kinder, Max und Clara.[4] Schumann, Brahms und Dietrich komponierten 1853 zusammen für ihren Freund Joachim eine Violinsonate mit dem Titel „Frei, aber einsam“ (das Lebensmotto des jungen Joseph Joachim). Dies trug dazu bei, dass Dietrichs Name nicht völlig in Vergessenheit geriet. Zusammen mit Brahms, Joachim u. a. gehörte er zu den Trauergästen, die Schumann nach dessen frühzeitigem Tod im Jahr 1856 das letzte Geleit gaben.
Schon 1854 war Dietrich nach Leipzig zurückgekehrt und konnte dort bald die Aufführung einer eigenen Symphonie mit dem Gewandhausorchester unter seinem dortigen Lehrer und Kapellmeister Julius Rietz erleben. Im Sommer 1855 wurde ihm die Leitung der Abonnementskonzerte der Bonner Konzertgesellschaft und des dortigen Gesangsvereins übertragen. Als ihm das Angebot vorlag, als Musikdirektor nach Barmen zu gehen, wurde 1859 auch seine Bonner Stelle in die eines Musikdirektors umgewandelt.
Tätigkeit in Oldenburg
Am 12. März 1861 wurde Dietrich als Hofkapellmeister an das Oldenburgische Staatstheater berufen. Die Berufung verdankte er einer Vermittlung seines Freundes Joseph Joachim. Ausschlaggebend dafür waren Dietrichs Leistung und sein Bekanntheitsgrad als Komponist. Dies war nicht ungewöhnlich in einer Epoche, in der Musiker, die allein durch das Dirigieren zu Ruhm gelangten, noch sehr selten waren. Wie sein Vorgänger August Pott musste er neben der Leitung der Hofkapelle den Musikunterricht der Großherzogin übernehmen. Für den Gesangsunterricht am Lehrerseminar erhielt er ein zusätzliches Einkommen. Obwohl seine Gehaltsvorstellungen trotzdem nicht erfüllt wurden, brachte die Anstellung in der Residenz für ihn im Vergleich zum städtischen Amt in Bonn eine wesentliche Erweiterung seiner Möglichkeiten mit sich.
Auch für das Oldenburger Konzertleben des 19. Jahrhunderts stellte die Anstellung Dietrichs einen Glücksfall dar, da er nicht nur ein vorzüglicher Dirigent, Pianist und Komponist war, sondern der Stadt durch seine intensiven persönlichen Beziehungen zum Schumannkreis auch wertvolle Kontakte eröffnete. Diese wirkten sich in den kommenden Jahrzehnten überaus fruchtbar aus, da Clara Schumann, Josef Joachim und Johannes Brahms häufig in Oldenburg konzertierten, das unter Dietrich zu einer dauernden Pflegestätte ihrer Musik wurde. Dank der Freundschaft zu Dietrich erschien Johannes Brahms auch mehrfach als Dirigent vor der Hofkapelle. Neben seiner Tätigkeit als Hofkapellmeister dirigierte Albert Dietrich fast 30 Jahre lang – von 1861 bis 1890 – die Konzerte des Oldenburger Singvereins. Bei einigen Konzerten traten der Singverein und die Hofkapelle auch gemeinsam auf, so zum Beispiel 1881 mit Dietrichs Konzertstück "Rheinmorgen" für gemischten Chor und Orchester op. 31.[5] Nach der Rückkehr des Dirigenten (und Vareler Stadtdirektors) Dietrich Klävemann nach Oldenburg (1880) dirigierte Albert Dietrich in den 80er Jahren auch die Konzerte des angesehenen Vareler Singvereins.[6] In dieser Zeit stand Dietrich in Verbindung mit dem Dichter Theodor Storm (1817–1888) und dessen Sohn Karl, der seit 1878 in Varel als privater Musiklehrer tätig war und bei einigen Konzerten des Singvereins solistisch mitwirkte.[7]
Am 1. Mai 1890 wurde Dietrich aus gesundheitlichen Gründen pensioniert. Hinter ihm lagen zu dieser Zeit schwere berufliche Konflikte mit dem intriganten Konzertmeister der Hofkapelle, Richard Eckhold, und tragische familiäre Erlebnisse. Sein Nachfolger wurde Ferdinand Manns. Er verlegte seinen Alterswohnsitz zunächst nach Leipzig. Zuletzt lebte er in Schöneberg bei Berlin, wo er 1908 in seiner Wohnung in der Geisbergstraße 29 starb[1]. Dietrich war zu Lebzeiten ein anerkannter und häufig aufgeführter Komponist.[8]
Postume Rezeption
Dietrichs Werk geriet ohne ersichtlichen Grund weitgehend in Vergessenheit. 2008 erschienen erstmals seine drei wohl gewichtigsten Werke auf CD: die Symphonie d-Moll, Violinkonzert sowie Romanze op. 27 für Horn & Orchester. Das Oldenburgische Staatsorchester spielte sie unter Leitung von Alexander Rumpf ein und würdigte damit auch seinen ehemaligen Kapellmeister Dietrich.[8] 2017 erschien beim Label cpo eine CD „Albert Dietrich: Cellosonate, Klavierstücke“, eingespielt durch den Pianisten Friedrich Thomas und den Cellisten Alexander Will, u.a. mit der Sonate für Piano und Cello von 1868 op. 15.[9] Auch Dietrichs Konzert für Violoncello und Orchester g-Moll op. 32 ist auf Tonträger zu hören, interpretiert von dem Cellisten Alban Gerhardt und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin auf der CD The Romantic Cello Concerto, Vol. 2 beim Label Hyperion. Die zusammen mit Robert Schumann und Johannes Brahms komponierte Violinsonate Frei aber einsam („F.A.E.-Sonate“) wurde auf zahlreichen CDs aufgenommen, so z. B. 2014 von der Geigerin Isabelle Faust und dem Pianisten Alexander Melnikov (Label: harmonia mundi).
Werk
Albert Dietrich, Sinfonie d-Moll, 1870, Titelblatt der Partitur mit der Widmung an Johannes Brahms.Kammermusik
erster Satz der „FAE“-Sonate („frei aber einsam“) für Violine und Klavier a-Moll (Die Sonate war eine Gemeinschaftskomposition mit Schumann und Brahms), 1853
Trio für Klavier, Violine und Violoncello Nr. 1 c-Moll op. 9 (Robert Schumann gewidmet)
Trio für Klavier, Violine und Violoncello Nr. 2 A-Dur op. 14 (Clara Schumann gewidmet)
Sonate für Violoncello und Klavier C-Dur op. 15
Klaviermusik
Klavierstücke op. 6
Sonate für Klavier zu vier Händen G-Dur op. 19
Konzerte
Konzertstück für Horn und Orchester F-Dur op. 27
Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 30
Konzert für Violoncello und Orchester g-Moll op. 32
Orchesterwerke
Sinfonie d-Moll op. 20 (Brahms gewidmet)
Normannenfahrt; Ouvertüre für großes Orchester op. 26, Erstveröffentlichung 1872 (Reinhard von Dalwigk gewidmet)
Ouvertüre C-Dur op. 35 (1882)
Bühnenwerke
Robin Hood; Oper in drei Akten op. 34, Libretto von Reinhard Mosen (Uraufführung am 6. April 1876 in Frankfurt am Main, Wiederaufführung am Theater Erfurt ab 20. März 2011)
Imogen; Bühnenmusik (u. a. Ouvertüre und Zwischenaktmusiken)op. 38 zu Shakespeares Drama Cymbeline, Text für die Bühne neu bearbeitet von Heinrich Bulthaupt, Oldenburg 1885
Das Sonntagskind; Märchenoper in drei Aufzügen o. op., Libretto von Heinrich Bulthaupt, Oldenburg 1886 (Uraufführung 1886 in Bremen)
Die Braut vom Liebenstein; dramatische Szene nach einer Rheinsage für Soli, Chor und Orchester o. op., Libretto von Carl von Noorden (Uraufführung am 5. April 1865 in Oldenburg)
Musik zu „Elektra“ op. 24, Drama in einem Aufzug von Hermann Allmers (Uraufführung am 10. März 1870 in Oldenburg)
Kantate
Altchristlicher Bittgesang („Tief in Trauer gehüllt erseufzt die Erde“); Kantate für gemischten Chor und Orchester nach einem lateinischen Gedicht aus dem 7. Jh., op. 25, Leipzig 1869 (Ferdinand Hiller gewidmet)
Lieder (Auswahl)
Liederkreis von Carl Gärtner für eine Singstimme und Klavier op. 1, Leipzig o.J. (dem Leipziger Organisten Hermann Langer gewidmet)
Widmung
Nachtlied
All’weil giebt es kein grössere Lust
Die alte Linde
Liederfrühling
Frühlings-Aufruf
Tröstung
Die Trauerweide
Kein Leid ist grösser als Herzeleid
Ade
Vom Pagen und der Königstochter. Vier Balladen von Emanuel Geibel für eine Singstimme und Pianoforte op. 5, Erstveröffentlichung Leipzig 1855 (seinem Dresdner Lehrer Julius Otto gewidmet)
Der alte König zog zu Wald
Zwei Reiter reiten vom Königsschloss
Am Runenstein in der Sommernacht
Die Lampen funkeln im Königsschloss
Fünf Lieder aus dem Spanischen von Emanuel Geibel und Paul Heyse für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte op. 7, Erstveröffentlichung Leipzig 1855 (der Sopranistin Livia Frege gewidmet)
Unter dem Schatten
Mein Liebchen naht
Murmelndes Lüftchen
Abschied
Wenn du zu den Blumen gehst
Fünf Gedichte von Johann Wolfgang von Goethe für Singstimme und Klavier op. 12, Leipzig/Winterthur 1861
März
Frühling über’s Jahr
War schöner als der schönste Tag
Dämmerung senkte sich von oben
Im Sommer
Sechs Lieder für tiefe Stimme op. 13, Köln 1861
Fern, ach fern
Will ruhen unter den Bäumen hier
Glocken zur See
Gute Nacht
Treulieb’ ist nimmer weit
Ach, wie weh tuth Scheiden
Sechs Lieder für gemischten Chor op. 21, Leipzig 1870 ("Seinem Freunde", dem Komponisten Carl Reinthaler, gewidmet)
Schottisches Lied
Nachglück
Frühlingsdrang
Schall der Nacht
Jagdlied
Mir träumt, ich läg wo Blüten sprangen
Vier Lieder von Heinrich Bulthaupt für Mezzosopran oder Bariton und Klavier op. 36, Leipzig 1886 (der Sängerin Fanny Moran-Olden gewidmet)
Es sollte der letzte Tag ja sein
Waldruhe
O, sei mir hold, du segnender Augenstrahl
Nun ist ein jeder Nerv in mir
Weihnachtslied für Solostimmen (Sopran, Bariton), Chor und Orchester op. 37, Text: Paul Heyse, Berlin 1883
Sechs Lieder aus Der junge Mönch von Heinrich Bulthaupt für Bariton und Pianoforte op. 39, Leipzig-Winterthur 1884
Maria, Mutter der Gnaden
Schlaftrunken wallen die Bäche
Die Amsel ist’s, die so heimlich singt
Nun ist die Nacht vergangen
In dein abgrundtiefes Auge blickt ich
Mein bist du, mein
Schriften
Erinnerungen an Johannes Brahms in Briefen besonders aus seiner Jugendzeit, Leipzig 1898 (Digitalisat)
Literatur
Albert Dietrich und J. V. Widmann: Recollections of Johannes Brahms. Kessinger Pub Co, 2007, ISBN 978-0-548-76407-7.
Albert Dietrich. In: Hans Friedl u.a. (Hrsg.): Biographisches Handbuch zur Geschichte des Landes Oldenburg. Hrsg. im Auftrag der Oldenburgischen Landschaft. Isensee, Oldenburg 1992, ISBN 3-89442-135-5, S. 150–151 (online).
Antonio Baldassare:Dietrich, Albert. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 5 (Covell – Dzurov). Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a. 2001, ISBN 3-7618-1115-2, Sp. 1013–1015(Online-Ausgabe, für Vollzugriff Abonnement erforderlich)
Christoph Halfmann: Albert Dietrich. Komponist und Großherzoglicher Hofcapellmeister in Oldenburg, Köln 2010
Georg Linnemann: Musikgeschichte der Stadt Oldenburg. Oldenburg 1956, S. 230–281.
Jürgen Pilch: Albert Dietrich (1829-1908). Skizzen zu seiner Vita und zum frühen Klaviertrio op. 9, in: Die Tonkunst. Magazin für klassische Musik und Musikwissenschaft, 2. Jg. 2008, Heft 4, S. 434–443
Jürgen Pilch: Albert Dietrich (1829-1908) - (k)ein Oldenburger Kapellmeister, in: Oldenburger Jahrbuch, Band 111, S. 93–116, Oldenburg 2011.
Zu Dietrichs Tätigkeit als Leiter des Oldenburger Singvereins vgl. Johannes Wolfram: Geschichte des Oldenburger Singvereins von 1821 bis 1896. Festschrift zum fünfundsiebzigjährigen Jubiläum des Vereins, Oldenburg 1896, S. 58–73.
Vgl. zum Beispiel den Bericht in der Vareler Tageszeitung "Der Gemeinnützige" vom 12. Dezember 1889
Vgl. Briefe von und an Theodor Storm (aus den Jahren 1878ff.) in der Handschriftensammlung der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek Kiel.
Rezension der Doppel-CD in der Zeitschrift Klassik heute
Jens-Uwe Sommerschuh: Der sächsische Brahms - eine feine CD erinnert an den heute oft unterschätzten Musiker. In: Sächsische Zeitung vom 12. Januar 2018, S. 14.
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