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Gerd Zacher (* 6. Juli 1929 in Meppen an der Ems; † 9. Juni 2014 in Essen[1]) war ein deutscher Komponist, Organist und Musikschriftsteller, der einen neuartigen Umgang mit der Orgel entwickelte. Er trug Wesentliches zur experimentellen Musik und zur Entwicklung der graphischen und verbalen Darstellung von Musik an Stelle der herkömmlichen Notation bei.


Leben



Ausbildung


Während Gerd Zachers Kindheit zog die Familie mehrmals um. Erst 1940 erhielt er ersten Musikunterricht bei Fritz Lubrich in Kattowitz, einem Schüler von Max Reger. Während des Zweiten Weltkrieges, nach einem weiteren Umzug, wurde er von Anton Rump in Klavierspiel und Theorie unterrichtet. Dazu gehörte auch das Spielen mehrstimmiger Literatur aus alten Schlüsseln, was ihm später für seine Aufführungspraxis nützlich war. Ebenfalls in dieser Zeit begann er mit dem Orgelspiel und nahm ab 1945 ersten Unterricht auf diesem Instrument.

Nach Beendigung der Schulzeit studierte er ab 1948 an der Nordwestdeutschen Musikakademie in Detmold Komposition bei Günter Bialas, Dirigieren bei Kurt Thomas und Orgel bei Hans Heintze und Michael Schneider. 1953 wechselte er nach Hamburg, studierte Klavier und Theorie bei Theodor Kaufmann, einem Schüler von Ferruccio Busoni, und machte 1954 das Examen zum „staatlich geprüften Musiklehrer“.


Berufliche Stationen


Danach ging Zacher nach Santiago de Chile und war dort von 1954 bis 1957 Kantor und Organist an einer deutschen evangelischen Kirche. 1957 kehrte er nach Deutschland zurück und legte an der Schleswig-Holsteinischen Musikakademie und Norddeutschen Orgelschule in Lübeck das A-Examen in Kirchenmusik ab, um ein entsprechendes Amt an der Lutherkirche in Hamburg-Wellingsbüttel annehmen zu können. Dort wirkte er bis 1970, wurde 1968 Kirchenmusikdirektor der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schleswig-Holstein, ein Amt, das diese Landeskirche seit 1925 besetzte.

Seit 1969 war Gerd Zacher Mitglied der Freien Akademie der Künste Hamburg. 1970 wurde Gerd Zacher als Leiter der Abteilung für Evangelische Kirchenmusik an die Folkwang-Hochschule in Essen berufen. Dort lehrte er bis 1991. Bis 1973 war er zugleich Organist an der Immanuelskirche in Wuppertal-Oberbarmen. Die evangelische Kirche in Essen-Rellinghausen stand ihm danach für seine Konzerttätigkeit zur Verfügung.

Er unternahm Konzerttourneen im In- und Ausland und spielte zahlreiche Schallplatten ein. Durch Seminare und Publikationen hat Gerd Zacher auch die heutige Bach-Interpretation beeinflusst.

Gerd Zacher lebte in Essen zusammen mit seinem Lebensgefährten Juan Allende-Blin.[2]

Er verstarb 84-jährig am 9. Juni 2014 (Pfingstmontag) und wurde eine Woche später auf dem Friedhof Bredeney bestattet.


Wirken



Engagement für verfemte und für Neue Musik


Weltweites Aufsehen erregte Zachers Konzertreihe mit Uraufführungen und der Pflege der von Nationalsozialisten verdrängten Musik. Es gab Uraufführungen seiner eigenen Werke und zahlreicher für ihn komponierter oder ihn interessierender Orgelwerke zeitgenössischer Komponisten wie Juan Allende-Blin, John Cage, Mauricio Kagel, György Ligeti und Dieter Schnebel. Der Spiegel resümierte: „Kein Deutscher macht mehr Wind für die Neue Musik“.[3]

Wesentlich in diesen Jahren waren für ihn auch die Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik. Dort begegnete er Olivier Messiaen, Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen, was ihm viele neue Anregungen gab. Neben Manfred Kluge war er einer der ersten, die Messiaens Orgelmusik in Deutschland bekannt machten.

1967 wurde der Komponist Isang Yun vom südkoreanischen Geheimdienst nach Seoul entführt, in Gefangenschaft gehalten und gefoltert. Gerd Zacher gehörte zu den vielen, die durch verschiedenste Aktionen von Deutschland aus schließlich seine Freilassung erwirkten. Zacher schrieb aus diesem Anlass das Orgelwerk Szmaty. Das polnische Wort bedeutet: Fetzen, Lumpen. Das Motto war der Psalmvers: „Sie haben meine Kleider unter sich geteilt.“.


Musikschriftsteller


Gerd Zacher hatte Interesse daran, seine Ansichten und Entdeckungen über Musik öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Er schrieb deshalb viel: über seine eigenen Werke, (z. B.: Die Kunst einer Fuge) und über eine neue Art der Notenschrift, zu der er wesentlich mit beitrug (Erfahrungen bei der Interpretation graphisch notierter Orgelmusik); des Weiteren über Bachs Die Kunst der Fuge und über andere Werke Bachs, viel über Orgeln (z. B.: Werkzeug Orgel), denn er verwendete sie auf eine ganz neue Art, so dass Orgeln dafür umgebaut wurden. Auch über das Orgelspiel (z. B.: Über eine vergessene Tradition des Legatospiels) und über Orgelmusik (z. B.: Max Reger. Zum Orgelwerk oder: Eine Fuge ist eine Fuge ist eine Fuge (Franz Liszts B-A-C-H-Komposition für Orgel) oder: Frescobaldi und die instrumentale Redekunst) publizierte Zacher.

Die Beschäftigung mit der Musik seiner Zeit bedeutete auch die Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist. (Was an folgenden Titeln deutlich wird: Die Erfahrung der Abwesenheit Gottes in der Musik des 20. Jahrhunderts oder: Schöpferische Tradition statt Historismus oder: Orgelmusik vor 20, 30 Jahren, als unsere Gegenwart noch Zukunft war.) Angeregt durch seine Freundschaft mit dem Komponisten Juan Allende-Blin und seinen Aufenthalt in Chile übersetzte er mit ihm zusammen mehrere Werke aus dem Spanischen ins Deutsche.


Komponist


Gerd Zacher komponierte schon als Kind, ließ aber erst die ab 1951 entstandenen Werke gelten. Die meisten existieren als Manuskripte. Ein Großteil der Kompositionen wurde seit 2012 beim Verlag Edition Gravis unter Vertrag genommen.[4] Die Zählung seiner Kompositionen beginnt mit der zwölftönigen Kantate Prière pour aller au Paradis avec les ânes nach dem Gedicht von Francis Jammes (1951).

Er setzte sich mit der Zwölftontechnik Arnold Schönbergs und mit serieller Musik auseinander. Nach seiner Ansicht sind die seriellen Verfahren eine Fortsetzung der Tradition durch ihre Vielfalt an Beziehungen und durch Vermeidung von Redundanzen. Wichtig waren auch die Anregungen durch Messiaen, Boulez und Stockhausen und später durch den amerikanischen Komponisten John Cage.

Sein Instrument Orgel wurde durch unterschiedlich starke Windzufuhr, flexiblen Schwellereinsatz sowie durch extrem langsames Herunterdrücken der Tasten zu kompositorischem Experimentierfeld. Er konnte die Orgel dadurch fast wie das „Sprechwerkzeug einer unbekannten Sprache“ nutzen.[5] In seinem Zyklus Die Kunst einer Fuge – Bachs Contrapunctus I in zehn Interpretationen werden die Möglichkeiten der Neuen Musik auf Alte Musik angewandt: Ohne einen Ton der Vorlage zu verändern, verfremdet Zacher die Musik durch verschiedene historische und zeitgenössische Spieltechniken.

Während Zacher bei der Orgel neue Möglichkeiten erforschte, orientierte er sich bei den Chorwerken an den damals üblichen avantgardistischen Verfahren. Worte werden in ihre einzelnen Laute zerlegt und unterschiedlich lang tönend ausgehalten. Im Vordergrund stehen oft graphische Notation und verbale Anweisungen. In einigen Kompositionen ließ er Freiräume für die einzelnen Sänger und Instrumentalisten offen, in denen sie nach vorgegebenen Regeln improvisieren sollten.


„700000 Tage später“

Ein Beispiel dafür ist seine Passion nach Lukas 700000 Tage später für 12 bis 28 Chorsänger von 1968. Um unnotierbare Polyphonien zu erzeugen, ist das Werk für ein Ensemble selbständiger Stimmen in freier Koordination komponiert. Gerd Zacher schreibt dazu: „Die Partitur ist so angelegt, dass jeder Chorsänger sein eigenes Heft mit seinem eigenen Stimmverlauf hat. Diese Hefte sind zum Teil von jedem Einzelnen selbst ausgearbeitet worden, indem er musikalische Entscheidungen fällte, musikalisches Material sammelte und auch gelegentlich kompositorisch tätig wurde – nach bestimmten Anweisungen der Partitur. Dabei sind vielerlei Arten von Absprachen untereinander getroffen worden. Es kann also vorkommen, dass man hin und wieder so viele Musiken gleichzeitig zu hören bekommt, wie Chorsänger vorhanden sind. Die Musik ist 'in die Hände der Menschen gefallen', sie erduldet, dass man sie aufschreibt, vorsingt, anhört; denn nur dadurch gibt es sie bei uns. Sie wird selbst zum Gleichnis für das befreiende Leiden Christi. Zum Gleichnis gehört aber in der Bibel immer der Satz: 'Wer Ohren hat zu hören, der höre'. Die alten Meister haben für ihr 'armes Lied' um gnädige Aufnahme beim Empfänger gebeten. Ich möchte aus guten Grund diese Tradition fortsetzen.“ (Zitat-Quelle?)

Das Werk gliedert sich im Ablauf durch die Folge der Seiten, das Umblättern wird zur gemeinsamen Orientierung. Die Partitur besteht aus einem Hauptteil, mit vielen weißen Flecken, und einem Anhang. Mit dem Material dieses Anhangs wird das eigentliche Werk aufgefüllt. Dazu kommen diverse Texte und Aktionen des alltäglichen und nicht alltäglichen Umgangs: die gesungene Zeitungskritik einer Musikaufführung; die Schilderung einer Begebenheit unter dem Thema „recht behalten“; ein Passionslied rückwärts auf „nä-nä“ gesungen; Sätze eines Nachrichtensprechers aus dem Radio; ein Passionslied gepfiffen; arabischer Gesang. Dies alles wird zusammengehalten durch den Text des Lukas-Evangeliums. Er liegt dem Ablauf der ganzen Komposition zugrunde, taucht aber nur gelegentlich an die Oberfläche der ausgesprochenen Verständlichkeit auf.


„Euch ist heute“

Die Weihnachtspassion Euch ist heute entstand 1973. Das Werk für gemischten Chor a cappella dauert etwa 80 Minuten und hat die Erzählung der Weihnachtsgeschichte nach Lukas zur Grundlage. Jeder der Verse aus dem zweiten Kapitel des Lukas-Evangeliums wird in einem eigenen Satz – wie in einer Suite – dargestellt. Die Titel der einzelnen Sätze lauten: Volkszählung / Namentliches / Erwartung / Raumnot-Revue / Feldmusik / Blendgeschrei / Freudengesang / Refrain (Passacaglia) / Friedenskantate / Courante / Sanctus / Vokales entmündigt / Akustische Theologie / In Nomine / Steingeschrei.

Das Werk stellt eine Collage aus verschiedensten vokalen und szenischen Elementen dar: flächenhaft oder punktuell kombinierte Wortfelder; einfache Lieder, Bewegung, Spiel, Alltagsgeräusche wie Lachen, Schreien, Husten, Stöhnen. Viele Ideen, die bereits in der Passion 700 000 Tage später stilbildend wirken, werden hier weitergeführt. Andererseits wird auch stärker auf Traditionelles zurückgegriffen, so dass insgesamt eine noch größere Ausdrucksvielfalt entsteht. Hilfsmittel neben der eigenen Stimme sind Glocken, Steine und Transistorradios.


Weitere Werke

Als Kirchenmusiker komponierte Gerd Zacher viele weitere Kantaten und Passionsmusik, bei denen seine Art der nichtherkömmlichen Darstellung von Musik auf dem Papier es den Chormitgliedern, die keine Berufssänger waren, erleichterte, die ihnen ungewohnte Musik zu verwirklichen. Das regte ihn dazu an, diese Methoden weiterzuentwickeln.

Zacher verwendete auch Kombinationen von herkömmlichen Instrumenten und elektronischen Musikerzeugern, z. B. 1987 in den 75 event(ualitie)s für Orgel und Tonband. Die Tonbandklänge dafür komponierte Juan Allende-Blin.

Die Zeit spielt eine wesentliche Rolle in Gerd Zachers Kompositionen. Auch mit ihr geht er auf seine eigene Weise um: Themen und Motive zerfallen in kleinste Sprengsel, oder die Zeit wird so verlangsamt, dass sich Reihen ins Unendliche zu dehnen scheinen, und es gibt Überlagerungen von beidem oder wieder Raum für geregelte Improvisation durch zeitweise selbstbestimmte Tondauer der einzelnen Stimmen. Das war schon 1954 in den Fünf Transformationen für Klavier der Fall und ist es noch 1993 in Trapez für Orgel.

In den Anfängen stieß er mit all dem bei seinen Komponisten-Kollegen zum Teil auf Unverständnis und deutliche Ablehnung, ebenso wie Stockhausen, der sich noch intensiver mit elektronischer Musik befasste.


Schriften (Auswahl)



Über Musik



Übersetzungen spanischer Dichtung



Kompositionen (Auswahl)



Filme



Literatur





Einzelnachweise


  1. Dekonstruiert die Königin! – Er befreite die Orgel: Zum Tode von Gerd Zacher. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Juni 2014, Seite 12.
  2. Georg Beck: Forschungsplatz Orgelbank: Gerd Zacher (1929–2014). nmz online, abgerufen am 14. Juni 2014.
  3. Musik: Schrecken und Schauder. In: Spiegel Online. Band 13, 20. März 1972 (spiegel.de [abgerufen am 12. Juli 2019]).
  4. Werkliste Gerd Zachers, bei Edition Gravis (Brühl), abgerufen am 13. Juni 2014.
  5. Klaus Linder: Gerd Zacher. In: Hanns-Werner Heister und Walter-Wolfgang Sparrer (Hrsg.): Komponisten der Gegenwart. Edition Text + Kritik, München 1992.
  6. Friedrich Gersmann: Hommecage à John Age. In: Gitarre & Laute. 9, 1987, Heft 2, S. 60 f.
Personendaten
NAME Zacher, Gerd
KURZBESCHREIBUNG deutscher Komponist und Organist
GEBURTSDATUM 6. Juli 1929
GEBURTSORT Meppen
STERBEDATUM 9. Juni 2014
STERBEORT Essen

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- [de] Gerd Zacher

[en] Gerd Zacher

Gerd Zacher (6 July 1929 – 9 June 2014) was a German composer, organist, and writer on music. He specialized in contemporary compositions, many of which feature extended techniques, and are written in graphic or verbal scores. He interpreted the scores of numerous contemporary composers, including John Cage, Juan Allende-Blin, Mauricio Kagel, György Ligeti, Hans Otte, Luis de Pablo, and Isang Yun. He is also known as an interpreter of the works of Johann Sebastian Bach.[1]



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