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Gustav Jacobsthal (* 14. März 1845 in Pyritz; † 9. November 1912 in Berlin) war ein deutscher Musikwissenschaftler, Hochschullehrer, Chorleiter und Komponist. Er gehörte zu den Musikhistorikern, die im ausgehenden 19. Jahrhundert die Musik des Mittelalters wissenschaftlich erforschten und wieder zugänglich machten.

Gustav Jacobsthal
Gustav Jacobsthal

Leben


Jacobsthal kam aus einer Pommerschen jüdischen Familie, besuchte bis zum Abitur das Marienstiftsgymnasium in Stettin und wurde dort von den Gymnasiallehrern Carl Loewe in Musik und Hermann Grassmann in Mathematik bevorzugt ausgebildet. Er studierte von 1863 bis 1870 in Berlin an der Friedrich-Wilhelms-Universität und privat Musik, Geschichte und Philosophie, u. a. Komposition und Chorleitung bei Heinrich Bellermann und Eduard Grell, dem damaligen Direktor der Sing-Akademie zu Berlin, sowie Klavier bei Carl Tausig. Unter dem Einfluss der Berliner Vokalschule betrachtete er zwar zunächst die Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts als den absoluten Höhepunkt der Musikgeschichte, erforschte dann aber auch deren mittelalterliche Vorgeschichte sowie deren barocke und klassisch-romantische Nachgeschichte auf dem Gebiet der Oper und der Instrumentalmusik. 1870 wurde Jacobsthal mit einer Arbeit über die Mensuralnotation des 12. und 13. Jahrhunderts promoviert. Seine bei Philipp Jaffé erlernten historischen Forschungsmethoden (Paläografie, Chronologie, Diplomatik) ergänzte er 1871/72 am Institut für Österreichische Geschichtsforschung in Wien bei Theodor von Sickel. Hier schrieb er auch eine exemplarische Arbeit über die Musiktheorie des Hermann von Reichenau anhand der Wiener Handschriften, die er in Straßburg als Habilitationsschrift einreichte. In Wien schloss er auch eine prägende Freundschaft mit dem Germanisten Wilhelm Scherer.

1872 wurde er an der neu gegründeten Kaiser-Wilhelm-Universität Straßburg habilitiert und unterrichtete dort zunächst als Privatdozent für Geschichte und Theorie der Musik, 1875 als außerordentlicher, ab 1897 als einziger ordentlicher Professor für Musikwissenschaft im Deutschen Reich. Ein Ordinariat war damals für einen Gelehrten, der zwar dem Assimilationsdruck an die christlich-deutsche Mehrheitskultur weitgehend nachgegeben hatte, aber nie aus der Synagoge ausgetreten war, eine äußerst seltene Position. Er gründete und leitete bis 1898 den Akademischen Gesangverein an der Universität als Ausbildungsinstitut für Gesang und Musikpädagogik, zeitweilig hatte er auch die Leitung des Städt. Gesangvereins in Straßburg inne. 1905 wurde Jacobsthal wegen Überarbeitung früh-emeritiert. Zu seinen Schülern zählten u. a. Albert Schweitzer, Peter Wagner und Friedrich Ludwig. Spuren von Jacobsthals Bach-Seminaren sind in dem Bach-Buch Schweitzers erkennbar. Wagner war Jacobsthals einziger Doktorand und arbeitete bei ihm über die weltlichen Madrigale Palestrinas. Da der Straßburger Lehrstuhl für Musikwissenschaft nach Jacosbthals Emeritierung abgeschafft (bzw. nach Berlin verlegt) worden war, wurde die Musikwissenschaft nach 1905 in Straßburg von Ludwig zunächst als Privatdozent vertreten. Wagner und Ludwig gingen, unter zum Teil fragwürdiger Berufung auf die Autorität ihres Lehrers, eigene Wege, die mit dem Wissenschaftsethos Jacobsthals unvereinbar waren.

Jacobsthal, der sich von den Folgen einer bakteriellen Infektion und seiner Überanstrengung auch nach der Emeritierung nicht mehr erholen konnte und 1912 in Berlin starb, liegt auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weissensee begraben.

Der Nachlass liegt in der Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin und enthält umfangreiches Vorlesungs- und Studienmaterial, das seit 2000 erschlossen wird. Register: A: Buchmanuskripte; B: Vorlesungsskizzen (frühes Mittelalter bis Beethoven); C: Studien und Notizen, Kollationen und Kommentierungen mittelalterlicher Traktate; D: Abschriften, Übertragungen und Kommentierungen mittelalterlicher Codices; E: annotierte Ausgaben des Micrologus Guidonis und der Coussemaker Scriptores; F: Briefe.


Werk


Jacobsthal verfolgte eine Einheit von historischer Forschung, Musiktheorie und Komposition. Sein musikhistorisches Schaffen umfasst neben seiner mündlichen Lehre in Straßburg nur wenige, in langer Vorbereitung entstandene Arbeiten. So gab er mit Hilfe romanistischer Freunde die lateinisch-altfranzösischen Texte des Motettenkodex Montpellier H196 vollständig heraus. Sein geplantes Hauptwerk, die musikalische Analyse dieses Kodex als Exempel für die Stimmführungsmethoden in der frühen Mehrstimmigkeit, blieb ein Torso und konnte erst 2010 als Fragment publiziert werden. In seinem die Analyse der Mehrstimmigkeit vorbereitenden Werk Die chromatische Alteration im liturgischen Gesang der abendländischen Kirche (1897), konnte er einige bisher ungelöste Probleme der Melodiebildung im Choral lösen, darunter die Entzifferung der hufeisenförmigen Tonskalen aus dem mittelalterlichen Enchiridion. Eine weitere vorbereitende Arbeit über die weltliche Monodie der Trobadors und Trouvères, die er im Rahmen eines Auftrags, das Kapitel über die Musik der Romanen für Gröbers Enzyklopädie der romanischen Philologie zu schreiben, geben wollte, blieb ebenfalls Fragment und konnte auszugsweise erst 2003 veröffentlicht werden. Aber auch zur Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts (Palestrinas weltliche Madrigale), zur Operngeschichte (sowohl Monteverdis L’Orfeo als auch Mozarts Kindheitsopern und Idomeneo) sowie zur Instrumentalmusik (Haydns, Mozarts und Beethovens Streichquartette; Carl Philipp Emanuel Bachs Württembergische Sonaten) hinterließ er zum Zeitgeist querstehende Analysen, die 2010 aus seinem in der Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin liegenden Nachlass publiziert werden konnten. Jacobsthal war Mitarbeiter für die Allgemeine musikalische Zeitung (AmZ) von 1871 bis 1874 und war in den achtziger Jahren als Rezensent für die Deutsche Litteraturzeitung (DLZ) tätig und für die Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Wissenschaftstheoretisch gesehen war Jacobsthal Empiriker und Skeptiker und verwahrte sich gegen voreilige Generalisierungen. Er verfocht methodisch die historische Gültigkeit mehrerer Varianten angesichts einer mannigfaltigen Tradition und kritisierte den subjektivistischen Avantgardismus der neudeutschen Schule.

Jacobsthals kompositorisches Schaffen umfasst überwiegend Chorwerke im epigonalen Stil der Berliner Vokalschule, komponiert anlässlich akademischer Gelegenheiten, aber auch ein Streichquartett und mehrere Klavierlieder (darunter Goethes Harfner- und Mignon-Lieder).


Veröffentlichungen


Posthum:


Literatur





Einzelnachweise


  1. Übergänge und Umwege in der Musikgeschichte – Inhaltsverzeichnis, Deutsche Nationalbibliothek, abgerufen am 10. September 2014
  2. Dietmar Schenk auf info-netz-musik am 5. Juli 2012; abgerufen am 11. Januar 2015
  3. Musikologe – Inhaltsverzeichnis, Deutsche Nationalbibliothek, abgerufen am 17. September 2014
  4. Ingeborg Allihn auf info-netz-musik am 2. Mai 2013; abgerufen am 11. Januar 2015
  5. Jascha Nemtsov auf info-netz-musik, 11. Januar 2015; abgerufen am 11. Januar 2015
Personendaten
NAME Jacobsthal, Gustav
KURZBESCHREIBUNG deutscher Musikwissenschaftler, Komponist und Hochschullehrer
GEBURTSDATUM 14. März 1845
GEBURTSORT Pyritz
STERBEDATUM 9. November 1912
STERBEORT Berlin



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