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Pavel Haas, auch Paul Haas (geboren am 21. Juni 1899 in Brünn, Österreich-Ungarn; gestorben am 17. oder 18. Oktober 1944 im KZ Auschwitz-Birkenau) war ein tschechisch- und deutschsprachiger Komponist.[1]

Pavel Haas
Pavel Haas

Leben


Pavel Haas, ein Sohn des jüdischen Schuhmachers Zikmund und dessen aus Odessa stammender Frau Olga, geb. Epstein, wuchs mit Tschechisch als Familiensprache auf, besuchte aber eine deutschsprachige Grundschule in Brünn in Mähren. Vor einem Schulabschluss wechselte er 1913 an die Musikschule der „Beseda Brněnská“[2] in Brünn, wo er bis 1916 bei Anna Holubová (Klavier) und Jan Kunc (Musiktheorie) unterrichtet wurde.[3] In dieser Zeit entstanden seine ersten Kompositionen. 1917 wurde er als Soldat zur Österreichisch-ungarischen Armee eingezogen. 1919 konnte seine Ausbildung an dem von Leoš Janáček neu gegründeten Brünner Konservatorium in der Tschechoslowakei bei Kunc und Vilém Petrželka (Klavier, Harmonielehre, Musiktheorie) fortsetzen. Von 1920 bis 1922 studierte er Komposition in der Meisterklasse von Leoš Janáček, als dessen bedeutendster Schüler er gilt.[4]

Haas arbeitete zunächst im Schuhgeschäft seines Vaters sowie kurze Zeit als Korrepetitor in Brünn und Saarbrücken. Sein Bruder Hugo Haas, am Beginn einer erfolgreichen Karriere als Schauspieler, verschaffte Pavel/Paul Haas den Zugang zum Brünner Theater, für das er in den 1920er Jahren Bühnenmusik komponierte. In den 1930er Jahren schuf Haas Musik für Filme, in denen sein Bruder mitwirkte. Nach Janáčeks Tod wurde Haas 1929 Nachfolger als Vorsitzender des Mährischen Komponistenverbands.

Ab 1935 war er Privatlehrer für Musiktheorie und schließlich Musiklehrer an der Hochschule in Brünn und freischaffender Komponist. Er komponierte Auftragswerke für renommierte Ensembles wie das Mährische Streichquartett und das Mährische Bläserquintett sowie für den Rundfunk. Von seinen insgesamt mehr als fünfzig Werken gab Haas aber nur 18 Werken eine Opuszahl.

Am 17. Oktober 1935 ehelichte er die Ärztin Soňa Jakobson, die frühere Frau des Linguisten Roman Ossipowitsch Jakobson. 1937 wurde die gemeinsame Tochter des Ehepaares geboren.[5]

Am 2. April 1938 wurde im Alten Theater am Wall in Brünn die dreiaktige Oper Der Scharlatan (Šarlatán) von Pavel Haas mit großem Erfolg uraufgeführt. Deren Libretto hatte Haas nach dem Roman von Josef Winckler Der Wunder-Doktor Johann Andreas Eisenbarth, im Volksmund auch als Quacksalber oder Scharlatan bezeichnet, selbst verfasst.[5] Regie führte Rudolf Walter in der Ausstattung von František Muzika; Dirigent war Quido Arnoldi (1896–1958). Dieser Premiere folgten im Frühjahr 1938 noch fünf weitere Aufführungen.

Nach dem Münchner Abkommen im Oktober 1938 und der Besetzung des Sudetenlandes durch deutsche Truppen wurde die Oper Der Scharlatan vom Spielplan abgesetzt. Am 28. Januar 1939 sendete der tschechische Rundfunk noch mehrere Volkslieder von Haas aus dem Zyklus Od večera do rána (Vom Abend bis zum Morgen).[5] Am 15. März 1939 marschierten deutsche Truppen in die restliche Tschechoslowakei ein und Adolf Hitler erklärte das annektierte Land zum Protektorat Böhmen und Mähren. Bald darauf wurde Haas’ Musik wegen seiner jüdischen Abstammung verboten und sowohl ihm, der auch als Musikjournalist für die Zeitung Národní noviny tätig war, als auch seiner nichtjüdischen Frau, die als Ärztin gearbeitet hatte, jegliche Erwerbstätigkeit untersagt.[5] Seinem Bruder, dem Schauspieler Hugo Haas, und dessen Frau gelang 1939 die Flucht über Frankreich in die USA; sie ließen jedoch ihren gemeinsamen, kurz zuvor geborenen Sohn bei Pavel Haas und seiner Frau Sonia zurück, der als deren Sohn registriert wurde.[5] Am 13. April 1940 wurde Pavel Haas von seiner Frau geschieden, um ihr Leben und das ihrer gemeinsamen Tochter vor weiterer Verfolgung zu schützen. Daraufhin konnte seine Frau, da sie als „Nichtjüdin“ galt, wieder als Ärztin arbeiten und sicherte den Lebensunterhalt der Familie.[5][6]

Am 2. Dezember 1941 wurde Pavel Haas mit Transport G-731 in das KZ Theresienstadt deportiert, wo er später mit anderen Komponisten und Musikern wie Hans Krása oder Victor Ullmann zusammentraf. Als er seine anfänglichen Depressionen überwunden hatte, fügte er sich in das reichhaltige Musikleben des Lagers ein und komponierte für die Theresienstädter Künstler und Laienchöre.[7] Ermuntert dazu wurde er u. a. durch Gideon Klein. Seine erste im Lager erstellte Komposition war Al S’fod, ein Chorwerk für vier Männerstimmen nach einem während arabischer Erhebungen gegen die jüdischen Besiedlung Palästinas zwischen 1936 und 1939 verfassten Gedicht des jüdisch-russischen Schriftstellers David Shimoni.[8] Von seinen mindestens acht Kompositionen aus dieser Zeit haben sich nur drei erhalten: die Studie für Streichorchester, die Vier Lieder nach Worten chinesischer Poesie und Al S’fod.

Nachdem die Nationalsozialisten kulturelle Aktivitäten im Lager Theresienstadt zuerst nur geduldet hatten, gingen sie Anfang 1942 dazu über, Künstler vom allgemeinen Arbeitsdienst zu befreien, damit sie ihrer Berufung weiterhin folgen konnten. Auf diese Weise sollten sie dem Lager zu kulturellem Glanz verhelfen. Dahinter steckte die Absicht, Theresienstadt zum Vorzeigeghetto zu machen, um es propagandistisch als „Gegenbeweis“ angesichts umlaufender Gerüchte vom Massenmord an den Juden benutzen zu können. Das erste Werk von Haas, das im Lager aufgeführt wurde, war Vier Lieder auf Worte der chinesischen Poesie am 22. Juni 1944.[9] Am 23. Juni 1944 wurde das Lager vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) besichtigt. Anlässlich dieses Besuches im Vorzeigeghetto wurde Haas’ Studie für Streichorchester von Karel Ančerl uraufgeführt.[10] Der Dirigent konnte das Notenmaterial für die Streicher retten, aus dem er später die Partitur rekonstruierte. Danach entstand Kurt Gerrons Film Theresienstadt, in dem auch Pavel Haas kurz zu sehen ist. Nach Abschluss dieser Propagandaaktionen verfügten die Nationalsozialisten im Oktober 1944, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, die Einstellung aller künstlerischen Aktivitäten und deportierten am 16. Oktober viele Künstler, darunter auch Haas und seinen Freund, den Pianisten Bernhard Kaff, in das Vernichtungslager Auschwitz, wo er an einem der darauffolgenden Tage ermordet wurde.[5]

Seine Musik geriet zunächst in Vergessenheit. Erst etwa ein halbes Jahrhundert später setzte ihre Wiederentdeckung ein.[5] Sein musikalischer Nachlass befindet sich in der Musikabteilung des Mährischen Landesmuseums in seiner Geburtsstadt Brünn.

Das 2002 gegründete Pavel Haas Quartet widmet sich der Aufführung seiner musikalischen Werke.[5]


Stolperstein


Stolperstein für Pavel Haas in Brünn
Stolperstein für Pavel Haas in Brünn

Am 17. September 2014 wurde vor dem Haus ul. Smetanova 630/28 in Brünn, wo Pavel Haas zuletzt wohnte, für ihn ein Stolperstein gelegt. Der Stolperstein trägt den folgenden Text[11] (hier mit einer Übersetzung):

ZDE ŽIL
PAVEL HAAS
NAR.1899
DEPORTOVÁN 1941
DO TEREZÍNA
ZAVRAŽDĚN 1944
V OSVĚTIMI

HIER LEBTE
PAVEL HAAS
GEB. 1899
DEPORTIERT 1941
NACH THERESIENSTADT
ERMORDET 1944
IN AUSCHWITZ


Auszeichnungen



Werk


Pavel Haas gilt heute allgemein als bedeutendster Schüler Janáčeks, dessen Einfluss besonders in Frühwerken wie dem Scherzo triste für Orchester (1921) unüberhörbar ist. Später kamen Elemente des neoklassizistischen Stils dazu, die von Igor Strawinsky beeinflusst wurden. Daneben schmilzt Haas auch gelegentlich Jazz-Elemente, böhmisch-mährische Volks- und Kirchenlieder sowie synagogale sakrale Gesänge und jüdische Volksweisen in seinen Kompositionsstil ein. Dieser ist polytonal und polyrhythmisch geprägt und zeichnet sich durch starke Expressivität und musikantische Vitalität aus.

Das Gesamtverzeichnis seiner Werke ist unter den Weblinks einsehbar. Weiters wird sein Werk durch die Verlage Boosey & Hawkes, Tempo/Bote & Bock (Prag/Berlin) und durch den „Ceský hudebni fond“ (Kulturfond für Musik der Tschechischen Republik) veröffentlicht.


Kompositionen


  1. Pada dišč
  2. Lietala, gálala
  3. V mikulášské kompanii
  4. Ty falešná falešnica
  5. Zapadá slniečko
  6. Bodaj by vás …
  1. Sentimentalita večera
  2. Duma
  3. Zimni komická píseň
  1. Smutek
  2. Na řece Jo-Yeh
  3. Jarní déšť
  1. Der ferne Geliebte (Vzdalena mila)
  2. Am Namenstag meiner Geliebten (K svatku milé)
  3. Das Grab (Haj)
  1. Vergeltung (Což je víc!)
  2. Liebesgeschenk (Dárek z lásky)
  3. Turteltäubchen (Krotká holubička)
  4. Gebrochenes Versprechen (Zrušení slibu)
  5. Zusage (Přípověď)
  6. Tränen und Seufzer (Slzy a vzdychání?)
  7. Tapfer Bursche (Statečný jonák)
  1. Ich vernahm Wildgänse (Zaslech jsem divoké husy)
  2. Im Bambushain (V bambusovém háji)
  3. Fern ist der Mond der Heimat (Daleko měsíc je domova)
  4. Durchwachte Nacht (Probděná noc)

Schriften



Diskografie


Eine umfassende Diskografie ist unter den Weblinks einsehbar.


Siehe auch



Literatur




Commons: Pavel Haas – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise


  1. Lubomír Peduzzi: Pavel Haas. Leben und Werk des Komponisten. Aus dem Tschechischen von Thomas Mandl. Hamburg 1996, ISBN 3-928770-28-4, passim.
  2. Brněnský filharmonický sbor Beseda brněnská – berühmter Brünner Klosterchor, gegründet 1860 von Pavel Křížkovský
  3. Clara-Marie Jantos: Brundibár in Terezín - Zur Bedeutung des Musiklebens im Konzentrationslager Theresienstadt, Diplomica Verlag, Hamburg, 2014, Seite VII des Anhangs
  4. Timothy Cheek: Singing in Czech – A Guide to Czech Lyric Diction and Vocal Repertoire. Rowman & Littlefield, 2015, S. 321.
  5. Pavel Haas im Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit (LexM)
  6. F. James Rybka: Bohuslav Martinu – The Compulsion to Compose. Scarecrow Press, 2011, S. 102.
  7. Lubomír Peduzzi: Pavel Haas: Leben und Werk des Komponisten (= Verdrängte Musik. Band IX). Verlag von Bockel, 1996, S. 151.
  8. Livia Rothkirchen: The Jews of Bohemia and Moravia – Facing the Holocaust. University of Nebraska Press/ Yad Vashem, Lincoln/ Jerusalem 2005, S. 277.
  9. Livia Rothkirchen: The Jews of Bohemia and Moravia – Facing the Holocaust. University of Nebraska Press/ Yad Vashem, Lincoln/ Jerusalem, 2005, S. 278.
  10. Alex Ross: The Rest Is Noise – Listening to the Twentieth Century. Picador, New York 2007, S. 363.
  11. Brno, Stichwort „Pavel Haas“ im Abschnitt V. záznam (Bericht V. vom 17. September 2014), Portal vizit-sezem, online auf: vizit-sezem.webnode.cz/...; Foto des Stolpersteins, der zusammen mit einem Stolperstein für seinen Vater Zikmund Haas, geb. 1871, gelegt wurde, online auf: vizit-sezem7.webnode.cz/...
  12. Pavel Haas auf encyklopedie.brna (tschechisch)
  13. Erstmals auf CD: Pavel Haas’ Šarlatán
Personendaten
NAME Haas, Pavel
ALTERNATIVNAMEN Haas, Paul (andere Schreibweise)
KURZBESCHREIBUNG tschechisch- und deutschsprachiger Komponist
GEBURTSDATUM 21. Juni 1899
GEBURTSORT Brünn, Österreich-Ungarn
STERBEDATUM 17. Oktober 1944 oder 18. Oktober 1944
STERBEORT KZ Auschwitz-Birkenau

На других языках


- [de] Pavel Haas

[en] Pavel Haas

Pavel Haas (21 June 1899 – 17 October 1944) was a Czech composer who was murdered during the Holocaust. He was an exponent of Leoš Janáček's school of composition, and also utilized elements of folk music and jazz. Although his output was not large, he is notable particularly for his song cycles and string quartets.[1]

[ru] Хаас, Павел

Павел Хаас (чеш. Pavel Haas, 21 июня 1899, Брно — 17 октября 1944, Освенцим) — чешский композитор еврейского происхождения. Брат кинорежиссёра и актёра Гуго Хааса.



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