Ennio Morricone (* 10. November 1928 in Rom; † 6. Juli 2020 ebenda) war ein italienischer Komponist, Dirigent und Oscarpreisträger. Er arbeitete auch unter den Pseudonymen Dan Savio und Leo Nichols und komponierte die Musik für mehr als 500 Filme.
Weil er die Filmmusik für zahlreiche Italowestern schrieb, wird sein Name vornehmlich mit diesem Filmgenre in Verbindung gebracht.[1] Besonders bekannt sind seine Filmmusiken zum Italowestern-Klassiker Zwei glorreiche Halunken, zum Western-Epos Spiel mir das Lied vom Tod, zu Roland Joffés Drama Mission und zu Giuseppe Tornatores Film Cinema Paradiso. Morricone erhielt 2007 den Oscar für sein Lebenswerk sowie 2016 einen weiteren für die Musik zum Film The Hateful Eight.
Auch für andere Genres komponierte Morricone, beeinflusst von den Arbeiten der Komponisten Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und John Cage. Sein Werk wird heute zudem unter Aspekten der Aleatorik betrachtet.[2]
Leben
Morricone studierte am Konservatorium von Santa Cecilia Trompete und Chormusik und erhielt 1946 sein Konzertdiplom als Trompeter. Ein Jahr später folgte ein erstes Engagement als Theaterkomponist. 1953 begann er mit der Gestaltung des Abendprogramms eines italienischen Rundfunksenders. Für seine Ausbildung als Komponist am Konservatorium, die er 1954 mit einem Diplom abschloss, zeichnete Goffredo Petrassi verantwortlich. Morricone heiratete 1956 Maria Travia. Er etablierte sich ab Mitte der 1950er Jahre mit Kammermusik- und Orchesterwerken in der musikalischen Avantgarde seines Landes; 1958 besuchte er die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt.[3] Im selben Jahr unterschrieb Morricone einen Arbeitsvertrag als Musikassistent bei der staatlichen Rundfunkanstalt Radiotelevisione Italiana, wo er als Arrangeur tätig wurde. Auch für zahlreiche Schallplattenaufnahmen im Genre Pop (beispielsweise für Gino Paoli und Mina) schrieb er Arrangements und leitete Band und Orchester.
Morricone komponierte 1961 seine erste Filmmusik für Luciano SalcesIl Federale, doch ließ der internationale Erfolg noch einige Jahre auf sich warten. 1964 begann er seine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Sergio Leone (die beiden waren in dieselbe Schulklasse gegangen) und Bernardo Bertolucci. In dieser Zeit schrieb er unter anderem die Musik für Leones Filme Für eine Handvoll Dollar, Zwei glorreiche Halunken und Spiel mir das Lied vom Tod. Morricones Kompositionen unterschieden sich stark von den traditionellen symphonischen Western-Soundtracks aus Hollywood und wirkten durch ihre ungewöhnlichen Soundelemente (Maultrommeln, Pfiffe, Schreie, Kojotengeheul, Eulenrufe, Glocken, Spieluhren, Peitschenknallen, Schläge auf einen Amboss etc.) stilbildend und innovativ. Mit einigen seiner Kompositionen konnte der Komponist sogar Hitparadenerfolge verbuchen. Im Genre des Italo-Westerns orientierten sich zahlreiche Komponisten an dem von Morricone entwickelten Stil.
Ab Mitte der 1960er Jahre komponierte Morricone jedes Jahr die Filmmusik für etwa 15 Filme. Außerdem spielte er von 1964 bis in die 1970er Jahre im von Franco Evangelisti initiierten Improvisationsensemble Gruppo di Improvvisazione Nuova Consonanza. Zusammen mit anderen Komponisten gründete Morricone 1984 in Rom das I.R.TE.M, eine Forschungsanstalt für musikalisches Theater.
In mehr als vierzig Jahren künstlerischen Schaffens schrieb Morricone über 500 Filmmusiken und arbeitete dabei mit namhaften italienischen und internationalen Regisseuren zusammen. Er dirigierte eine große Anzahl von Orchestern, wobei er für zahlreiche Konzerte sowie Filmmusikaufnahmen mit dem Roma Sinfonietta Orchestra zusammenarbeitete. Mit diesem Ensemble gab Morricone am 2. Februar 2007 auch ein Ehrenkonzert zum Amtsantritt des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon.
Neben Film- und Bühnenmusik schrieb er auch weiterhin Kammermusik für Solisten (Gitarre, Klavier, Violine, Cello) und diverse Formationen (Trio, Quintett, Sextett, Piano und Instrumente, Gesang und Instrumente, Chöre etc.) sowie Kantaten und Messen:
Partenope (eine Oper mit einem Libretto von Guido Barbieri und Sandro Cappelletto) (1996)[5]
Ut (1992)
Cantata per l’Europa (1988)
Cantata Frammenti di Eros (1985)
Gestazione (1980)
Requiem per un Destino (1966)
Sestetto (1955)
Familie und Persönliches
Seine Frau Maria Travia lernte er 1950 kennen; sie heirateten 1956 und waren in Italien ansässig. Seine Frau unterstützte ihn bei seiner Arbeit; so schrieb sie ergänzende Texte zu seinen Musikstücken zum Film The Mission, die auch lateinische Texte enthalten. Sie haben gemeinsam drei Söhne und eine Tochter:
Marco (* 1957)
Alessandra (* 1961)
Andrea (* 1964), Dirigent und Filmkomponist, mit dem der Vater die Musik zu Cinema Paradiso komponierte
Giovanni (* 1966), in New York lebender Filmemacher
Bei der Verleihung des Ehrenoscars 2007 sprach Clint Eastwood die Laudatio. Er übersetzte Morricones auf Italienisch gehaltene Dankesworte, da Morricone nicht fließend Englisch sprach; aus ihrer langjährigen Zusammenarbeit in vielen Filmen war eine enge Freundschaft entstanden.
Tod
Ennio Morricone starb am 6. Juli 2020 im Alter von 91 Jahren an der Universität Campus Bio-Medico in Rom an den Folgen eines Oberschenkelhalsbruchs, den er sich einige Tage zuvor bei einem Sturz zugezogen hatte. Sein Tod rief starkes öffentliches Echo hervor, wobei er häufig als der bekannteste Komponist der Filmgeschichte bezeichnet wurde.[6] Er wurde auf dem Laurentino-Friedhof südlich von Rom beigesetzt.[7]
Werk
Morricone trug mit seiner Musik wesentlich zum Welterfolg der Leone-Western bei,[8] die heute Kultfilme sind, wie zum Beispiel Spiel mir das Lied vom Tod. Leone bekannte einmal, dass Morricone für ihn mehr ein Drehbuchautor sei als ein Komponist, denn durch die Musik könne er etwas mitteilen, was er sonst hätte zeigen müssen.[8] Und vom Komponisten ist überliefert:
„Filmmusik braucht Raum, um sich entfalten zu können. Der Film muss der Musik Zeit geben, um sich zu entwickeln.“
2010 erhielt Morricone den schwedischen Polar Music Prize.[11]
2013 wurde Morricone für seine Musik zu dem Film The Best Offer – Das höchste Gebot von Giuseppe Tornatore mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet.[12]
2016 erhielt Morricone den Critics’ Choice Movie Award und zahlreiche weitere Kritikerpreise für die Filmmusik zu The Hateful Eight.
2019 erhielt er die Goldene Pontifikatsmedaille von Papst Franziskus, überreicht durch Kardinal Gianfranco Ravasi.[13]
2019 wurde ihm der Orden der Aufgehenden Sonne, 4. Klasse verliehen.[14]
2020 erhielt Morricone den Prinzessin-von-Asturien-Preis in der Sparte Kunst (gemeinsam mit John Williams).[15]
Darüber hinaus wurde er 2017 mit dem Großkreuz, der höchsten Stufe des Verdienstordens der Italienischen Republik, ausgezeichnet und in die Ehrenlegion aufgenommen.
2016 wurde er mit einem Stern auf dem Hollywood Walk of Fame geehrt.[16]
Wirkung
Weltweit wurden mehr als 50 Millionen Alben von Morricone verkauft.[17][18] Seine Kompositionen wurden teilweise in andere Genres übertragen:
John Zorn veröffentlichte 1986 das Album The Big Gundown, auf dem bekannte Stücke Morricones eigenwillig bearbeitet wurden.
Morricones Komposition The Ecstasy of Gold aus dem Film Zwei glorreiche Halunken eröffnet seit 1983 jedes Konzert der Band Metallica. Ähnlich handhabten es Motörhead wie auch die Ramones mit der Titelmelodie des Films, letztere etwa am Beginn ihres Konzertalbums Loco Live.
Der US-amerikanische Regisseur Quentin Tarantino verwendete Morricone-Titel für einige seiner Filme. In Kill Bill Vol. 1 und 2 wurden Titel verwendet, die unter anderem aus Zwei glorreiche Halunken, Navajo Joe und Death Rides a Horse stammen. Gleiches tat Tarantino 2009 im Film Inglourious Basterds, in dem Stücke aus Der Gehetzte der Sierra Madre, Ringo kommt zurück und Die gefürchteten Zwei verwendet wurden, um dem Film einen Western-Anstrich zu verleihen, obwohl er während des Zweiten Weltkriegs spielt. Für Django Unchained kam schließlich neben Kompositionen aus früheren Werken auch ein eigens für diesen Film komponiertes Lied in den Soundtrack.[19] Für den Film The Hateful Eight (2015) ließ Tarantino die gesamte Filmmusik vom zur Produktionszeit 86-jährigen Morricone komponieren.
2007 wurde Morricone zu Ehren das Album We All Love Ennio Morricone mit Coversongs veröffentlicht, auf dem Künstler wie Metallica, Andrea Bocelli, Roger Waters, Quincy Jones, Daniela Mercury, Bruce Springsteen, Eumir Deodato oder Herbie Hancock die bekanntesten seiner Stücke neu interpretieren. Der Text von I Knew I Loved You ist eigens für die CD entstanden und von Alan Bergman und seiner Frau Marilyn Bergman geschrieben worden. Gesungen wurde der Titel von Céline Dion zur Titelmelodie von Es war einmal in Amerika.
Die amerikanische experimentelle Rockband The Mars Volta spielte bei jedem ihrer Konzerte als Einlaufmusik ein Instrumental aus Für eine Handvoll Dollar.
Das Streicherkollektiv Triology spielte 1999 ein Album (Triology Plays Ennio Morricone) mit arrangierten Stücken Morricones ein.
Die deutsche Rockband Dezperadoz verwendet auf ihrem ersten Album Dawn of Dying (2002) das Stück Man with a Harmonica aus Spiel mir das Lied vom Tod als Intro.
Im Jahr 2003 entstand die CD For a Few Guitars More mit Gitarrenversionen von Morricones Soundtracks.
Danger Mouse und Daniele Luppi veröffentlichten im Jahr 2011 das Album Rome, das als Hommage an die Italo-Western-Soundtracks von Ennio Morricone konzipiert ist.
2011 spielte Ennio Morricone gemeinsam mit der Sängerin Hayley Westenra das Album Paradiso neu ein.
Morricone war mit dem italienischen bildenden Künstler Giovanni Manfredini befreundet und hat dessen Kircheninstallationen 2010 in Santa Maria del Popolo in Rom und 2015 in der Chiesa Madonna dell’Orto, anlässlich der Biennale in Venedig musikalisch begleitet.[20]
Titelmusik der BBC-Serie Life and Times of David Lloyd George, sowie in den Filmen Maddalena (Come Maddalena), (1971) und Der Profi (Le professionel), (1981).
Jean Lhassa: Hommage au Maitre Ennio Morricone. Limitierte Auflage von 500 Exemplaren. Editions du Center d’Art d’Ixelles, 1986.
Sergio Miceli: Morricone – Die Musik, das Kino. Edition Filmwerkstatt, 2000, ISBN 3-930524-03-1.
Christiane Hausmann: Zwischen Avantgarde und Kommerz – Die Kompositionen Ennio Morricones. Wolke Verlag, Hofheim 2008, ISBN 978-3-936000-68-9.
Ennio Morricone in Venice. Live at Piazza San Marco. DVD und Buch. Icestorm Entertainment GmbH/ARS Latina, 2008.
Toni Hildebrandt: Ennio Morricone und Giuseppe Tornatore. Die Musik, das Kino. Grin Verlag, Regensburg 2007.
Wolfgang Sandner: Spiel mir das Lied von Morricone. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 8.November 2008, Z3.
Peter Moormann (Hrsg.): Klassiker der Filmmusik. Reclam-Verlag, Ditzingen 2009.
Guido Heldt, Tarek Krohn, Peter Moormann: Ennio Morricone. Edition Text und Kritik, München 2014, ISBN 978-3-86916-274-4.
Lorenzo Sorbo: The Dramatic Functions of Italian Spaghetti Western Soundtracks: A Comparison between Ennio Morricone and Francesco De Masi. In: SebastianStoppe: Film in Concert. Film Scores and their Relation to Classical Concert Music. VWH Verlag, Glückstadt, Germany 2014, ISBN 978-3-86488-060-5, S.161–174.
Ennio Morricone – Der Meister der Filmmusik. Bildband mit 4 Audio-CDs. edel Germany, 2013, ISBN 978-3-943573-02-2.
Sorce Keller, Marcello. “The Morricone Paradox: A Film Music Genius Who Missed Writing Symphonies”. Asian-European Music Research Journal (AEMR). 6 (2020): 111-113.[27]
Interview mit Ennio Morricone. In: Marc Hairapetian: „Konservative Regisseure wären schreiend vor mir geflüchtet!“ – Ennio Morricone schrieb große Filmmusiken für Sergio Leone, Pier Paolo Pasolini und Quentin Tarantino. Jetzt wird er 90. Zeit für einen Hausbesuch in Rom., in Die Zeit, 10. November 2018
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