Hildegard Zadek (* 15. Dezember 1917 in Bromberg, Provinz Posen; † 21. Februar 2019 in Karlsruhe[1]) war eine deutsch-österreichische Opern-, Operetten-, Lied- und Konzertsängerin mit der Stimmlage Sopran. Zuletzt arbeitete sie als Gesangspädagogin und unterrichtete in Karlsruhe und in Wien.
Leben und Wirken
Zadek wurde 1917 im damals ostpreußischen Bromberg als Tochter eines jüdischen Kaufmanns geboren. Als die Stadt 1920 polnisch wurde, emigrierte die Familie nach Stettin, wo sie zusammen mit ihren zwei älteren und den beiden jüngeren Schwestern aufwuchs. Ihr Vater besaß bis 1938 ein Schuhgeschäft.[2] 1935 verließ sie Deutschland wegen der nationalsozialistischen Verfolgung, der sie durch ihre jüdische Herkunft ausgesetzt war, und emigrierte nach Palästina. Dort absolvierte sie eine Ausbildung zur Säuglingsschwester und arbeitete u.a. im Hadassah-Spital in Jerusalem. 1939 flohen auch ihre Eltern, der Vater hatte bereits im KZ Sachsenhausen gesessen, und ihre beiden jüngeren Schwestern nach Palästina, für deren Nachzug sie sich unermüdlich eingesetzt hatte. Mit dem im elterlichen Schuhgeschäft zuverdienten Geld konnte die junge Frau ein Gesangsstudium am Jerusalemer Konservatorium bei der ungarischen Opernsängerin Rose Pauly absolvieren. Dies schloss sie 1945 mit Auszeichnung ab. Bei einem Stipendiatenaufenthalt 1945 in Zürich, wo sie Unterricht bei der Lied- und Konzertsängerin Ria Ginster nahm, wurde Hilde Zadek vom Direktor der Wiener Staatsoper Franz Salmhofer entdeckt. Nachdem er sie in der Wohnung seiner Patentochter hatte singen hören, lud er sie zur „Vorstellung auf Engagement“. Es dauerte noch bis Anfang 1947, ehe Hilde Zadek nach Österreich einreisen konnte. Dort arbeitete sie mit Elisabeth Höngen an der Vervollkommnung ihrer Stimme und ihres Repertoires. Obwohl ihre Familie nach dem Krieg in die USA auswanderte, blieb sie in Wien.
An der Wiener Staatsoper debütierte Hilde Zadek am 3. Februar 1947[3] als Aida in der gleichnamigen Oper von Giuseppe Verdi. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie noch nie auf einer Bühne gestanden und lernte die Partie in fünf Tagen, ohne eine einzige Probe. Ihr Debüt war ein Erfolg und der Beginn einer langen Karriere. Mehr als 25 Jahre blieb die Kammersängerin der Wiener Staatsoper treu[4]. Sie sang u.a. von Christoph Willibald Gluck(Alceste, Iphigenie auf Tauris),Mozart(Gräfin Almaviva, Donna Anna, Vitellia),Richard Strauss(Salome, Chrysothemis, Marschallin, Arabella, Ariadne),Richard Wagner(Senta, Elisabeth, Elsa, Eva, Sieglinde), Giuseppe Verdi (Aida, Elisabeth, Amelia, Desdemona) sowie die Titelpartie in Puccinis Tosca und die Santuzza in MascagnisCavalleria rusticana. Neben den großen Sopranpartien aus Klassik und Romantik sang Hilde Zadek in Erich Wolfgang KorngoldsDie tote Stadt, Gottfried von EinemsDantons Tod, Alban BergsAltenberg-Lieder (op. 4), in Franz SchmidtsDas Buch mit sieben Siegeln oder auch in Gian Carlo MenottisThe Consul. Als Jüdin für das einstige Tätervolk zu singen, störte sie nicht, wie sie im Interview mit dem mdw-Magazin sagte: „Ich habe mich entschieden das Wiener Publikum zu lieben, sonst hätte ich nicht für sie singen können.“[5]
Gastspielreisen führten die Sopranistin an Opernhäuser in New York,[6] Moskau, London,[7] Rom, Berlin, München, Paris, Lissabon, San Francisco, Amsterdam. Sie war Gast bei den Festspielen in Salzburg,[8] Edinburgh, Glyndebourne und beim Holland Festival. Ein besonderer Markstein ihres künstlerischen Wirkens war ihre Mitwirkung als Eurydice bei den Salzburger Festspielen in der Uraufführung (6. August 1949) von Carl OrffsAntigonae.[9] Hilde Zadek gab außerdem Liederabende im In- und Ausland und wirkte solistisch bei Chor- und Orchesterkonzerten mit.
Von 1964 bis 1978 leitete Hilde Zadek die Gesangsabteilung am Konservatorium der Stadt Wien und arbeitete nach wie vor als Gesangspädagogin. Meisterkurse führten Hilde Zadek nach Karlsruhe und Jerusalem, in die Schweiz und nach Italien.
Der nach ihr benannte Internationale Hilde-Zadek-Gesangswettbewerb findet seit 1998 im zweijährlichen Turnus statt; seit 2003 in Zusammenarbeit mit der Hildegard Zadek Stiftung, gegründet 1997 von der Sopranistin Maria Venuti, und der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Er entsprach der gesangspädagogischen Intention der Künstlerin, junge Begabungen zu fördern.
Hilde Zadek wurde in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 33G, Nummer 12) beigesetzt.[10]
Schüler (Auswahl)
Elfriede Ameri
Flurin Caduff
Davide Damiani
Moritz Gogg
Georg Nigl
Klaus Ofczarek
Adrianne Pieczonka
Ulla Pilz
Dimitri Pitta
Linda Plech
Tamar Rachum
Karin Christina Ruprecht
Simona Ryser
Lukas Schmid
Kurt Schreibmayer
Martina Serafin
Alfred Šramek
Ulrike Steinsky
Georg Tichy
Natalia Ushakova
Maria Venuti
Melanie Wandel
Titus Witt
Heidi Wolf
Ernennungen und Ehrungen
1951 Österreichische Kammersängerin
1965 Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst
1971 Professorin an der Musikakademie der Stadt Wien
1977 Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper
1978 Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold
2007 Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Hochschule für Musik in Karlsruhe (zum 90. Geburtstag)
2012 Großes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich (1952)
2017 Ehrenmitgliedschaft der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien[11]
Ehrenmitgliedschaft der European Voice Teachers Association (EVTA)
Diskografie (Auswahl)
Oper/Operette
Feldmarschallin in Der Rosenkavalier von Richard Strauss (Dir. Clemens Krauss) (Line 1942–1957/2011); (Dir. Artur Rodziński) (Myto 1957/2008)
Brangäne in Der Zaubertrank von Frank Martin (Dir. Ferenc Fricsay) (Orfeo 1948/2014)
Lieschen in Der Ring des Polykrates von Erich Wolfgang Korngold (Dir. Hans Swarowsky) (CACD 1949/2014)
Eurydice in Antigonae von Orff (Dir. Ferenc Fricsay) (CACD 1949/2014)
Saffi in Der Zigeunerbaron von Johann Strauss (Dir. Clemens Krauss) (Line 1951/2002); (Polygram 1952/1996)
Titelpartie in Aida von Giuseppe Verdi (Dir. Hans Schmidt-Isserstedt) (Line 1951/2005)
Titelpartie in Ariadne auf Naxos von Richard Strauss (Dir. Joseph Keilberth) (Delta 1954/2006)
Donna Anna in Don Giovanni von Mozart (Dir. Rudolf Moralt) (Decca 1955/2016)
Vitellia in La clemenza di Tito von Mozart (Dir. Joseph Keilberth) (Delta 1955/2005)
Herzogin Elena in Die Sizilianische Vesper von Verdi (Dir. Mario Rossi) (Delta 1955/2006)
Maddalena in Andrea Chénier von Umberto Giordano (Dir. Rudolf Moralt) (Line 1955–1957/2008)
Titelpartie in Iphigenie auf Tauris von Gluck (Dir. Joseph Keilberth) (Capriccio 1956/2009)
Chrysothemis in Elektra von Strauss (Dir. Fernando Previtali) (Myto 1957/2008); (Dir. Arnold Quennet) (Orfeo 1964/2004)
Titelpartie in Leonore von Beethoven (Dir. Ferdinand Leitner) (Line 1960/2011)
Erste Chorführerin in Mord in der Kathedrale von Ildebrando Pizzetti (Dir. Herbert von Karajan) (Polygram 1960/1998)
Soeur Mathilde in Dialogues des Carmélites von Poulenc (Dir. Berislav Klobucar) (Ponto 1961)
Hilde Zadek: »Die Zeit, die ist ein sonderbar’ Ding«. Mein Leben, hg. von Volkmar Parschalk, Wien u.a. 2001 (mit CD), ISBN 3-205-99362-4.
Christine Dobretsberger: »Was ich liebe, gibt mir Kraft«. Bühnenstars aus Oper und Theater erzählen, Wien u.a. 2015, ISBN 978-3-222-13517-0. Auszug des Interviews, in: Wiener Zeitung vom 26. Dezember 2015.
Barbara von der Lühe: Die Emigration deutschsprachiger Musikschaffender in das britische Mandatsgebiet Palästina. Ihr Beitrag zur Entwicklung des israelischen Rundfunks, der Oper und Musikpädagogik seit 1933, Frankfurt am Main u.a. 1999.
Lexikon der Frau in zwei Bänden. Band II, I–Z. Zürich 1954, Sp. 1669.
Riemann Musiklexikon, Personenteil L–Z, hg. von Wilibald Gurlitt, 12. völlig neubearb. Aufl., Mainz u.a. 1961, S. 958.
Riemann Musiklexikon, Ergänzungsband, Personenteil L–Z, hg. von Carl Dahlhaus, 12. völlig neubearb. Aufl., Mainz u.a. 1975, S. 940.
Karl Josef Kutsch, Leo Riemens: Großes Sängerlexikon. Zweiter Band: M–Z, Bern/Stuttgart 1987, Sp. 3259.
Noël Goodwin: Art. »Zadek, Hilde«, in: The New Grove Dictionary of Opera, hg. von Stanley Sadie, 4. Bd., London u.a. 1998, S. 1199, ISBN 0-333-73432-7.
Sophie Fetthauer: Hilde Zadek, in: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, Hamburg 2007.
Thomas Seedorf: Art. »Zadek, Hilde, eigentl. Hildegard Zadek«, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Supplementband, hg. von Ludwig Finscher, 2. überarb. Aufl., Kassel u.a. 2007, Sp. 1179.
Christian Fastl: Zadek, Hilde (Hildegard). In: Oesterreichisches Musiklexikon. Online-Ausgabe, Wien 2002 ff., ISBN 3-7001-3077-5; Druckausgabe: Band 5, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2006, ISBN 3-7001-3067-8. (Online-Ausgabe: letzte inhaltliche Änderung: 10. Mai 2017).
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