Heinrich Besseler (* 2. April 1900 in Hörde; † 25. Juli 1969 in Leipzig) war ein deutscher Musikwissenschaftler.
Leben
Besseler, der Sohn eines Chemikers, studierte nach Besuch des Gymnasiums in Düsseldorf in Freiburg im Breisgau Philosophie bei Martin Heidegger, Germanistik bei G. Müller sowie Mathematik und Naturwissenschaften, in Wien bei Hans Gál Musik und anschließend in Wien und Freiburg Musikwissenschaft bei Wilibald Gurlitt, Guido Adler und Wilhelm Fischer. 1923 wurde er an der Universität Freiburg mit der Studie Beiträge zur Stilgeschichte der deutschen Suite im 17. Jahrhundert promoviert. Nach Studien bei Friedrich Ludwig in Göttingen habilitierte er sich in Freiburg mit der Arbeit Die Motettenkomposition von Petrus de Cruce bis Philipp von Vitry (ca. 1250–1350). 1928 wurde er zum Professor für Musikwissenschaft an die Universität Heidelberg berufen.[1]
Nach 1933 stellte er sein Lehrangebot „vollständig auf die Bedürfnisse der Nationalsozialisten ein“.[2] 1934, ein Jahr nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten, wurde er Mitglied der SA, wo er den Rang eines Oberscharführers erreichte.[3] 1935 forderte er bei den Musiktagen der Hitlerjugend in Erfurt, „daß die Musikpflege der Universität vom Geist des neuen HJ-Liedes durchdrungen werden müsse.“[4] Von 1935[5] bis 1937[6] (1939)[5] war er als Sekretär des Ausschusses zur Betreuung der deutschen Musikdenkmale für den Aufbau des Publikationswesens beim Staatlichen Institut für Musikforschung in Berlin verantwortlich.[1] Am 26. Juni 1939 wurde Besseler vom Reichsminister Bernhard Rust zum ordentlichen Mitglied des Staatlichen Instituts für Deutsche Musikforschung ernannt.[7] Am 1. Mai 1937 wurde er in die NSDAP aufgenommen (Mitgliedsnummer 4.033.201).[8] Er bekam Konflikte mit Herbert Gerigk, dem Leiter des Sonderstabs Musik im Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR).[3]
Im Entnazifizierungsverfahren nach dem Zweiten Weltkrieg behauptete Besseler, dass ihn das Amt Rosenberg persönlich verfolgt hätte.[9][3]
1945 wurde er durch die amerikanische Militärregierung als Hochschullehrer der Universität Heidelberg entlassen und bemühte sich vergeblich um Wiedereinstellung.
1949 folgte Besseler einem Ruf auf das neueingerichtete Ordinariat für Musikwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Anfang der 1950er Jahre wurde er hier Fachrichtungsleiter für Philosophie und Musikwissenschaft sowie Leiter der Abteilung Musikwissenschaft.[5] Er agierte als Prodekan der Philosophischen Fakultät. Ab 1952 war Besseler Mitglied im wissenschaftlichen Beirat für die Fachrichtung Musikwissenschaft beim DDR-Staatssekretariat für Hochschulwesen. Nach der Einstellung der musikwissenschaftlichen Forschung in Jena wechselte Besseler 1956[1] (1957)[5] als Professor und Direktor des Instituts für Musikwissenschaft an die Universität Leipzig. 1960 wurde er mit einer Festschrift geehrt (Leipzig 1961, mit Schriften- und Editionsverzeichnis)[10] und erhielt den Nationalpreis der DDR[3], 1965 wurde er emeritiert.[5] 1967 wurde ihm von der University of Chicago ein Ehrendoktor Doctor of Humane Letters honoris causa verliehen.
Besseler war seit 1955 ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Ehrenmitglied des Instituto Español de Musicología, Publikationsleiter des Corpus Mensurabilis Musicae Rom und zusammen mit Max Schneider Herausgeber der Publikationsreihe Musikgeschichte in Bildern (Leipzig ab 1961).[1]
Clytus Gottwald versuchte 1970, Heinrich Besseler auf der Tagung der Gesellschaft für Musikforschung 1970 fachöffentlich als 'nationalsozialistisch aufgeschlossen' zu definieren; dies wurde als nestbeschmutzerisch rezipiert.[11]
Werke (Auswahl)
Als Herausgeber
Heidelberger Studien zur Musikwissenschaft I – VIII. Kassel 1932 bis 1939
Musikalische Gegenwartsfragen I – III. Heidelberg 1949 bis 1953
Jenaer Beiträge zur Musikforschung I – III. Leipzig 1954 bis 1961
1961 bis 1968 mit Max Schneider: Musikgeschichte in Bildern. Leipzig[10]
Bücher/Beiträge
Dissertation: Beiträge zur Stilgeschichte der deutschen Suite im 17. Jahrhundert, 1923
Habilitationsschrift: Die Motettenkomposition von Petrus de Cruce bis Philipp von Vitry, 1925
Die Musik des Mittelalters und der Renaissance, Bücken, Handbuch der Musikwissenschaft, 1931
Zum Problem der Tenorgeige, Musikalische Gegenwartsfragen I, 1949
Bourdon und Fauxbourdon – Studien zum Ursprung der niederländischen Musik, 1950
Thomas Phleps: Ein stiller, verbissener und zäher Kampf um Stetigkeit – Musikwissenschaft in NS-Deutschland und ihre vergangenheitspolitische Bewältigung. In: Isolde von Foerster et al. (Hrsg.): Musikforschung – Nationalsozialismus – Faschismus. Mainz 2001, S. 471–488 (online).
Lothar Hoffmann-Erbrecht: Heinrich Besseler (1900–1969). In: Die Musikforschung. Band 23, 1970, S. 1–4.
Eckhard John: Vom Deutschtum in der Musik. In: Albrecht Dümling (Hrsg.), Entartete Musik. Eine kommentierte Rekonstruktion zur Düsseldorfer Ausstellung von 1938, Düsseldorf 1988, 200S. [über die Rolle der Musikwissenschaftler J. Müller-Blattau, W. Gurlitt und H. Besseler im Nationalsozialismus].
Martin Geck: So kann es gewesen sein … so muß es gewesen sein … Zum 25. Todestag des Musikforschers Heinrich Besseler. In: Musica. Band 48, 1994, Heft 4, S. 244–245.
Pamela M. Potter: Die deutscheste der Künste. Musikwissenschaft und Gesellschaft von der Weimarer Republik bis zum Ende des Dritten Reichs. Stuttgart 2000, besonders S. 104–118, 151–166, 299–310.
Thomas Schipperges: Die Akte Heinrich Besseler. Musikwissenschaft und Wissenschaftspolitik in Deutschland 1924 bis 1949 (Quellen und Studien zur Musik in Baden-Württemberg Bd. 7). Strube, München 2005, ISBN 3-89912-087-6.
Olaf Kappelt: Braunbuch DDR. Nazis in der DDR. Berlin historica, 2009, ISBN 978-3-939929-12-3, S. 272.
Einzelnachweise
Horst Seeger: Musiklexikon Personen A–Z. Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1981.
Annette Kreutziger-Herr: Ein Traum vom Mittelalter: die Wiederentdeckung mittelalterlicher Musik in der Neuzeit. Böhlau, Köln Weimar 2003, ISBN 3-412-15202-1, S. 157 (eingeschränkte Vorschauin der Google-Buchsuche).
Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-039326-5, S. 48.
Zitat von Fred K. Prieberg, abgedruckt bei Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 48.
Heinrich Besseler (Mementodes Originals vom 13. Oktober 2012 im Internet Archive)Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.uni-leipzig.de auf dem Wiki des Instituts für Musikwissenschaft der Universität Leipzig
Zwischen Forscherinteresse und Machtpolitik (Mementodes Originals vom 1. Juli 2007 im Internet Archive)Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.uni-heidelberg.de Thomas Schipperges "Akte Heinrich Besseler" arbeitet ein schwieriges Kapitel deutscher Wissenschaftsgeschichte auf auf uni-heidelberg.de vom 20. April 2006
Archiv für Musikforschung, 1940, Bd. 5(1), S. 63
Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945, Kiel 2004, CD-Rom-Lexikon, S. 427.
Thomas Schipperges: Die Akte Heinrich Besseler. Musikwissenschaft und Wissenschaftspolitik in Deutschland 1924 bis 1949, München 2007, Kap. 6 (Strube-Verlag), ISBN 3-89912-087-6
Brockhaus Riemann Musiklexikon Bd. 1 (1998) ISBN 3-254-08396-2
Другой контент может иметь иную лицензию. Перед использованием материалов сайта WikiSort.org внимательно изучите правила лицензирования конкретных элементов наполнения сайта.
2019-2024 WikiSort.org - проект по пересортировке и дополнению контента Википедии