Paul Graener (* 11. Januar 1872 in Berlin; † 13. November 1944 in Salzburg; eigentlich Paul Hermann Franz Gräner) war ein deutscher Komponist, Dirigent und NS-Kulturpolitiker.
Aufnahme Anfang der 1930er Jahre von Suse Byk
Leben
Paul Graener war Sohn eines Gürtlermeisters. 1881 wurde er Sängerknabe im Königlichen Domchor, 1884 bis 1890 besuchte er das Askanische Gymnasium in Berlin. 1888 erhielt er eine Freistelle am Veitschen Konservatorium; dort studierte er Komposition bei Albert Becker. Nach ersten Engagements als Kapellmeister in Stendal, später in Bremerhaven, Königsberg und Berlin war er von 1898 bis 1906 Musikdirektor am Theatre Royal Haymarket in London, wo er auch an der London Academy of Music unterrichtete. Die internationale Schreibweise seines Namens (Graener) behielt er später bei. Vor der Übersiedlung nach England heiratete er Maria Elisabeth Hauschild (1872–1954); aus der Ehe gingen drei Kinder hervor: Heinz (der als 10-jähriges Kind starb), Franz (1898–1918) und Klara (Claire; 1903–193?).
Nach einer kurzen Station in Wien, wo er als Kompositionslehrer am Neuen Wiener Konservatorium wirkte, war Paul Graener von 1911 bis 1913 Direktor des Salzburger Mozarteums. Ab 1914 lebte er als freischaffender Komponist in München. 1915/16 war er Kapellmeister am Stadttheater Halle.[1] Von 1920 bis 1927 unterrichtete er – in der Nachfolge Max Regers – als Kompositionsprofessor am Konservatorium Leipzig. 1930 wurde Graener, als Nachfolger des verstorbenen Alexander von Fielitz, Direktor des Stern’schen Konservatoriums in Berlin. 1934 übernahm er die Leitung einer Meisterklasse in der Akademie der Künste.
Nach dem Tod seiner Tochter Klara Anfang der 1930er Jahre adoptierte er deren Kinder. Er war außerdem der Vater des Malers Paul Corazolla sowie des Cellisten und Dirigenten Jan Corazolla. Deren Mutter, die Sängerin Margarete Corazolla (1902–2001), gehörte eine Zeitlang gemeinsam mit ihrer Schwester(?), der Pianistin Berti Corazolla, zu den Bewohnern der Künstlerkolonie Berlin.
Seit Ende der 1920er Jahre war Paul Graener Mitglied im nationalsozialistischen Kampfbund für deutsche Kultur. In einigen Vokalkompositionen vereinnahmte er Texte der deutschen Romantik für NS-Propaganda, so z.B. 1932 ein Kriegslied von Theodor Storm und den Gesang der Erinnerung (1807) von Friedrich Schlegel (mit der Zeile „Der Retter ist nicht weit“).
Im Februar 1933 erregte Graener Aufsehen, als er zusammen mit anderen Mitgliedern des „Kampfbundes“ ein Konzert von Michael Jary störte. Am 1.April 1933 trat er der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 1.597.250)[2]. 1933 übernahm er die Führung der Fachschaft Komposition der Reichsmusikkammer. Ab 1934 war er deren Vizepräsident (nach dem Rücktritt von Wilhelm Furtwängler); 1941 legte er dieses Amt nieder, sein Nachfolger wurde Werner Egk.
Graener erhielt zahlreiche Auszeichnungen des NS-Regimes.
1944 wurde seine Berliner Wohnung zerstört, alle Manuskripte gingen verloren. Graener reiste mit seiner Familie über Wiesbaden, München, Wien und Metz nach Salzburg, wo er 72-jährig im Landeskrankenhaus verstarb.
Vor allem als Liedkomponist steht Graener in der Tradition von Johannes Brahms, Hugo Wolf und Richard Strauss. Gelegentlich bedient er sich aber auch einer atonalen Tonsprache (in den Galgenliedern nach Morgenstern) oder orientiert sich am Impressionismus (in der Oper Don Juans letztes Abenteuer und dem Orchesterwerk Aus dem Reiche des Pan).
In den 1920er Jahren war Graener ein vielgespielter Opernkomponist. Durch seine Hinwendung zum Nationalsozialismus avancierte er ab 1933 zu einem der meistaufgeführten lebenden Komponisten in Deutschland. Seit seinem Tode wird er kaum noch gespielt, vielfach wird sein Werk als epigonal eingeschätzt. Am bekanntesten sind heute seine Morgenstern-Lieder, die in verschiedenen historischen Aufnahmen greifbar sind.
Ehrungen
1922: Mitglied der Preußischen Akademie der Künste
1925: Ehrendoktorwürde der Universität Leipzig
1934: Beethoven-Preis
1942: Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft
Kompositionen
Bühnenwerke
Backfische auf Reisen. Operette in einem Akt. Libretto: Fritz Bolger. UA 1891 Bremerhaven
The Faithful Sentry (op.1; 1899). Singspiel in einem Akt. Libretto: Samuel Gordon (nach Theodor Körner). UA 1899 London (Theatre Royal Haymarket)
Das Narrengericht (op.38; 1912). Singkomödie in 2Akten. Libretto: Otto Anthes. UA 1913 Wien
Don Juans letztes Abenteuer (op.42; 1914). Oper in 3Akten. Libretto: Otto Anthes. UA 11.Juni 1914 Leipzig (Opernhaus; mit Robert Burg?)
Theophano (Byzanz) (op.48; 1918). Oper in 3Akten. Libretto: Otto Anthes. UA 5.Juni 1918 München (Hoftheater)
Schirin und Gertraude (op.51; 1920). Heitere Oper in 4Akten. Libretto: Ernst Hardt. UA 28.April 1920 Dresden (Staatsoper)
Hanneles Himmelfahrt (1927). Oper in 2Akten. Libretto: Georg Gräner (nach dem gleichnamigen Stück von Gerhart Hauptmann). UA 17.Februar 1927 Dresden (Staatsoper; mit Erna Berger [Hannele])
Friedemann Bach (op.90; 1931). Oper in 3Akten. Libretto: Rudolf Lothar (nach Albert Emil Brachvogels gleichnamigen Roman). UA 13.November 1931 Schwerin
Der Prinz von Homburg (op.100; 1934). Oper in 4Akten. Libretto: Paul Graener (nach Kleist). UA 14.März 1935 Berlin (Staatsoper Unter den Linden)
Irene. Ein Spiel auf Capri (1940?). Singspiel in einem Vorspiel und 3Akten. Libretto: Alfred Güntzel. UA evtl. 1940 München (Staatstheater am Gärtnerplatz?)
Schwanhild (1941). Oper in 3Akten. Libretto: Otto Anthes. UA 1941 Köln
Odysseus’ Heimkehr (1941; Fragment). Libretto: Otto Anthes
Vokalkompositionen
Für Singstimme und Klavier:
Zwei Lieder (op.3; published 1921). Texte: Paul Graener; P. Sturm-Wegmann
Vier Lieder (op.4; 1906). Texte: K. A. Venth, J. Meyer, H. Leuthold, L. Cassan
Zwei Lieder (op.6; 1906). Texte: Robert Burns, Anonymus
Drei Lieder (op.11; 1906). Texte: Heinrich Heine, S. Elsa
Vier Lieder (op.12; 1909). Texte: Karl Stieler, Paul Remer, Gustav Falke
Drei Lieder (op.21; 1909). Texte: Anna Ritter, Anonymus, Ludwig Fulda
Fünf Lieder (op.29; 1911). Texte: Anna Ritter, Otto Julius Bierbaum, Eduard Rudolf Grisebach, K. Bulcke, Anonymus
Drei Lieder (op.30; 1909). Texte: Otto Erich Hartleben, Anonymus, Anna Ritter
Vier Lieder (op.40; 1916). Texte: Hans Friedrich, Richard Dehmel, Anna Ritter, Otto Julius Bierbaum
[Sieben] Neue Galgenlieder (op.43b; 1922). Texte: Christian Morgenstern
Drei Lieder (op.45; 1915). Texte: J. Leusser, Richard Dehmel, Johannes Schlaf
Drei Lieder (op.46; 1915). Texte: E. A. Herrmann, Hermann Hesse, Richard Schaukal, K. E. Kurdt
Drei Lieder zu altdeutschen Gedichten (op.47; 1918). Texte: Anonymi
Trommellied des Landsturms (1916). Text: Gustav Falke
Fünf Lieder (op.49; 1918). Texte: Börries von Münchhausen
Vier Lieder (op.50; 1919). Texte: Christian Morgenstern, Max Dauthendey
Vier Lieder (op.52; 1920). Texte: Richard Dehmel, Anton Wildgans, Max Dauthendey
Sechs Lieder (op.57; 1921). Texte: Christian Morgenstern, Lulu von Strauß und Torney, G. Eberlein, Börries von Münchhausen, Victor Blüthgen
Das Lied der Kurischen Nehrung (1924). Text: Fritz Kudnig (1888–1979)
Sieben Lieder (op.70; 1925). Texte: Otto Julius Bierbaum
Zehn Lieder (Löns-Lieder) (op.71; 1925). Texte: Hermann Löns
Nacht- und Spukgesänge. [Zehn] Galgenlieder (op.79; 1927). Texte: Christian Morgenstern
[Fünf] Raabe-Lieder (op.83; 1928). Texte: Wilhelm Raabe
Kommerslied der Leipziger Bibliophilen (1929). Text: Fedor von Zobeltitz
Vier Lieder (op.94; 1932). Texte: Johann Wolfgang von Goethe
Fünf Lieder (op.102; 1936). Texte: Will Vesper, Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse, Hermann Claudius, Anonymus
Drei Galgenlieder (op.103; 1936). Texte: Christian Morgenstern
[Fünf] Lieder der Erinnerung (op.111; 1942). Texte: Otto Erich Hartleben, Börries von Münchhausen, Hermann Claudius, Friedrich Griese
Für Singstimme(n) und andere Instrumente/ Orchester:
Wiebke Pogwisch (Schlacht in der Hamme 1404) (op.24; 1915) für Singstimmen und Orchester. Text: Detlev von Liliencron. UA 1919 Berlin (Philharmonischer Chor, Dirigent: Siegfried Ochs)
Sehnsucht. An das Meer (op.53; 1920). Rhapsodie für Altstimme, Klavier und Streichquartett. Text: Hans Bethge
Vorspiel, Intermezzo und Arie (op.84; 1932) für Singstimme, Gambe, Flöte, Oboe, Fagott und Streicher. Texte: Max Dauthendey
Die Gesellenwoche (op.86; 1930) für Männerchor. Text:?
Deutsche Kantate (op.87; 1929) für Männerchor. Text:?
Frühlings-Suite. Drei Gesänge (op.89; 1930) für Männerchor. Texte: Aus Des Knaben Wunderhorn
Vier Gesänge (op.91; 1930) für Männerchor. Texte: A. Christen, F. Ewers, Wilhelm von Scholz, Victor Hardung
Drei Lieder (1930) für Männerchor. Texte: K. Kollbach, Ludwig Pfau, Jakob Loewenberg
Drei Nocturnes (1930) für Männerchor. Texte: Anonymus, Richard Dehmel, Gustav Falke
Theodor-Storm-Musik (op.93; 1932) für Männerstimme (Bariton) und Klaviertrio. Text: Theodor Storm, Es liegen Wald und Heide…
Der Retter ist nicht weit (op.95; 1932). Hymnus für Männerchor, Bläser, Pauken und Klavier. Text: Friedrich Schlegel, Gesang der Erinnerung (1807)
Marien-Kantate (op.99; 1933) für Soli, Chor und Orchester. Texte: Dichtungen aus verschiedenen Jahrhunderten. UA 1933
Drei Männerchöre (1935). Texte: Alfred Bode
Drei Männerchöre (op.105; 1937). Texte: Hermann Löns
Eine Singstimme und ein Cello musizieren (op.113; 1943). Texte: Gerhart Hauptmann, aus: Das bunte Buch (1888)
Orchesterwerke, Konzerte
Aus dem Reiche des Pan (op.22; 1920). Suite für großes Orchester
Pan träumt im Mondlicht – Pan singt von der Sehnsucht – Pan tanzt – Pan singt das Welt-Wiegenlied
Sinfonietta (op.27; 1910) für Streicher und Harfe
Schmied Schmerz. Sinfonie d-Moll (op.39; 1912)
Romantische Phantasie (op.41; 1923)
Musik am Abend (op.44; 1915)
Variationen über ein russisches Volkslied (op.55; 1922)
Waldmusik (op.60; 1923)
Divertimento D-Dur (op.67; 1924)
Konzert a-Moll (op.72; 1925) für Klavier und Orchester
Iuventus academica. Ouvertüre (op.73; 1926; der Universität Leipzig gewidmet). UA 1926 Leipzig (Gewandhausorchester, Dirigent: Fritz Busch)
Gotische Suite (op.74; 1927; Emil Mattiesen gewidmet)
Konzert a-Moll (op.78; 1927) für Violoncello und Kammerorchester
Comedietta (op.82; 1928)
Die Flöte von Sanssouci (op.88; 1930). Suite für Flöte und Kammerorchester
Sinfonia breve (op.96; 1932)
Drei schwedische Tänze (op.98; 1932)
Sérénade pittoresque (1937) für Streicher
Konzert D-Dur (op.104; 1938) für Violine und Orchester (Karl Grimm gewidmet)
Feierliche Stunde (op.106; 1938)
Turmwächterlied (op.107; 1938). Variationen über das Lied des Lynkeus aus Faust II von Goethe
Prinz Eugen, der edle Ritter. Variationen (op.108; 1939)
Wiener Sinfonie (op.110; 1942). UA 1942 (Berliner Philharmoniker, Dirigent: Hans Knappertsbusch)
Salzburger Serenaden (op.115; 1943)
Flötenkonzert (op.116)
Kammermusik
Für Klavier:
Minuetto – Gavotte & Pastorale (op.9; 1905; auch Fassung für Orchester)
Au printemps – Chant du soir – En route & Alla marcia (op.10; 1905; auch Fassung für Streicher)
Impressionen (1912)
Wilhelm-Raabe-Musik (op.58; 1922; 3Stücke)
Einsame Feldwacht. Romanze (op.59; 1922)
Drei Intermezzi (op.77; 1927)
Drei Klavierstücke (1932)
Für Soloinstrument und Klavier:
Petite Suite Italienne (1903) für Violine und Klavier
Sonate (op.56; 1921) für Violine und Klavier
Suite A-Dur (op.63; 1924) für Flöte und Klavier
Suite D-Dur (op.64; 1924) für Violine und Klavier
Suite c-Moll (op.66; 1924) für Violoncello und Klavier
Sonate (op.101; 1935) für Violoncello und Klavier
Für Violine, Violoncello und Klavier:
Suite (op.19; 1905)
Kammermusikdichtung (op.20; 1906; Wilhelm Raabe gewidmet, nach der Lektüre des Romans Der Hungerpastor)
Eugen Schmitz: Zum 70.Geburtstag Paul Graeners. In: Zeitschrift für Musik. 109, 1942, S.1–4.
Fritz Stege: Paul Graener. In: Zeitschrift für Musik. 99, 1932, S.9–13.
Christian Weickert:Graener, Paul. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band6, Duncker & Humblot, Berlin 1964, ISBN 3-428-00187-7, S.715 (Digitalisat).
Joseph Wulf: Musik im Dritten Reich. Reinbek 1966.
Graener, Paul, in: Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2007, ISBN 978-3-10-039326-5, S. 194f.
Dokumente
Dokumente von und über Paul Graener befinden sich im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig.
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