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Joseph Anton Bruckner (* 4. September 1824 in Ansfelden, Oberösterreich; † 11. Oktober 1896 in Wien) war ein österreichischer Komponist der Romantik sowie Organist und Musikpädagoge. Erst spät im Leben von den Zeitgenossen als Komponist gewürdigt, gehörte er doch zu den wichtigsten und innovativsten Tonschöpfern seiner Zeit und hat durch seine Werke bis weit ins 20. Jahrhundert hinein großen Einfluss auf die Musikgeschichte ausgeübt.

Anton Bruckner (1894)
Anton Bruckner (1894)
Anton Bruckner (1894)
Anton Bruckner auf einem Gemälde von Ferry Bératon, 1890
Anton Bruckner auf einem Gemälde von Ferry Bératon, 1890

Seine bedeutendsten und wohl auch bekanntesten Kompositionen sind seine groß angelegten Sinfonien. Auch die Kirchenmusik hat er um wichtige Werke bereichert – unter anderem drei große Messen und das Te Deum. Als Organist wurde er vor allem für seine Improvisationen bewundert.


Leben



Frühe Jahre: 1824–1845


Geburtshaus Anton Bruckners
Geburtshaus Anton Bruckners
Anton-Bruckner-Denkmal in seinem Geburtsort Ansfelden
Anton-Bruckner-Denkmal in seinem Geburtsort Ansfelden

Bruckner kam als ältestes von zwölf Kindern des Lehrers Anton Bruckner (11. Juni 1791–7. Juni 1837) und dessen Ehefrau Theresia, geb. Helm (1801–1860), zur Welt.[A 1] Da zu den damaligen Pflichten eines Dorfschullehrers auch kirchenmusikalische Dienste wie Kantoramt und Orgelspiel sowie das Aufspielen als Tanzbodengeiger auf Festen gehörten, kam der junge Bruckner über seinen Vater bereits früh mit der Musik in Kontakt und lernte den Umgang mit Violine, Klavier und vor allem der Orgel. Bereits mit etwa zehn Jahren fungierte er gelegentlich als Aushilfsorganist.

Nach dem frühen Tod seines Vaters 1837 wurde Bruckner von der Mutter als Sängerknabe ins nahe gelegene Stift Sankt Florian geschickt, wo er auch Musikunterricht erhielt. Der Familientradition folgend, fasste er den Entschluss, die Lehrerlaufbahn einzuschlagen. Nach dem Besuch des vorbereitenden Lehrerseminars in Linz wurde er Schulgehilfe im Dorf Windhaag, wo es bald schon zu Konflikten mit seinem Vorgesetzten kam, die schließlich zur Versetzung nach Kronstorf führten: Bruckner habe zu viel komponiert und auf der Orgel improvisiert, statt seinen Pflichten (neben Schul- und Kirchendienst auch Arbeit auf dem Feld und im Wald) nachzukommen, so die Begründung. Tatsächlich gibt es von ihm aus dieser Zeit drei sogenannte „Choral-Messen“, nämlich die Windhaager Messe (eine kleine Messe für Altstimme, zwei Hörner und Orgel), und zwei missae breves (a cappella): die Kronstorfer Messe und die Messe für den Gründonnerstag. 1845 absolvierte er schließlich die Lehrerprüfung und trat noch im selben Jahr eine Stelle als Hilfslehrer der Schule von Sankt Florian an.


Sankt Florianer Zeit: 1845–1855


Stift Sankt Florian
Stift Sankt Florian
Brucknerorgel im Stift Sankt Florian
Brucknerorgel im Stift Sankt Florian

In das Jahrzehnt, das Bruckner im Stift verbrachte, fällt die allmähliche Entwicklung vom Lehrer zum professionellen Musiker. Zunächst widmete er sich weiterhin ausgiebig seinem Lehrerberuf, besuchte 1850 in Linz einen Weiterbildungskurs und bestand fünf Jahre später eine Prüfung zur Erlaubnis, auch an höheren Schulen zu unterrichten.

Gleichzeitig jedoch wurde ihm die Musik immer wichtiger, sodass er sein Orgelspiel perfektionierte, was ihm 1848 den Posten des provisorischen, drei Jahre später den des regulären Stiftsorganisten in Sankt Florian einbrachte. Es entstanden erste Kompositionen von größerer Bedeutung, so ein Requiem (1848) und eine Missa solemnis (1854), außerdem eine Reihe von Motetten und die Vertonung des 22. sowie des 114. Psalms.

1854 reiste Bruckner das erste Mal, mit der DDSG, nach Wien, um sich vor dem dortigen Hofkapellmeister Ignaz Aßmayer einer Orgelprüfung zu unterziehen, die er glänzend bestand. 1855 folgte eine erneute Reise nach Wien, wo Bruckner Schüler des berühmten Musiktheoretikers und Professors für Generalbass und Kontrapunkt Simon Sechter wurde, bei dem bereits bedeutende Musiker wie Franz Schubert oder Franz Lachner studiert hatten. Der Unterricht wurde meist über Briefe erteilt.


Domorganist in Linz: 1855–1868


Bruckner, um 1855
Bruckner, um 1855
Bruckner an der Orgel, Silhouette von Otto Böhler
Bruckner an der Orgel, Silhouette von Otto Böhler
Bruckner-Gedenkstein am Alten Dom in Linz
Bruckner-Gedenkstein am Alten Dom in Linz
Bruckner-Gedenkstein von Adolf Wagner von der Mühl an der Stadtpfarrkirche in Linz
Bruckner-Gedenkstein von Adolf Wagner von der Mühl an der Stadtpfarrkirche in Linz

1855 starb der amtierende Linzer Domorganist, sodass ein Wettspiel zur Ermittlung seines Nachfolgers ausgerichtet wurde. Bruckner bewarb sich zunächst nicht, konnte jedoch schließlich überredet werden, daran teilzunehmen. Obwohl er keine schriftliche Bewerbung eingereicht hatte, wurde ihm erlaubt zu spielen. Keiner seiner Mitbewerber vermochte mit Bruckners virtuoser Orgelkunst gleichzuziehen, sodass er am 8. Dezember jenes Jahres zum neuen Domorganisten der Ignatiuskirche (Alter Dom) ernannt wurde. Nebenbei war er auch als Stadtpfarrorganist in der Stadtpfarrkirche tätig.

Die Bewerbung wurde nachgereicht. Bruckner war nun vollends Berufsmusiker geworden und gab die Schullehrertätigkeit endgültig auf. Neben seiner neuen Aufgabe absolvierte er weiterhin den Unterricht bei Sechter, besuchte seinen Mentor auch mehrmals in Wien. 1860 übernahm er als Chormeister die Leitung eines Männerchorvereins, der Liedertafel Frohsinn, die er mehrere Jahre mit Unterbrechungen innehatte. Mit der Liedertafel gab Bruckner zahlreiche Konzerte und erwarb sich somit auch als Chordirigent einen guten Ruf. Er komponierte zahlreiche Werke für den Chor, wie den Germanenzug. Am 19. November 1861 legte er schließlich als Abschluss der Musiktheoriestudien vor einer von Sechter geleiteten Kommission, der u. a. auch die Dirigenten Johann von Herbeck und Felix Otto Dessoff angehörten, an der Orgel der Piaristenkirche Maria Treu in Wien seine Prüfung ab. Die Professionalität, mit der Bruckner die gestellten Anforderungen meisterte, soll von Herbeck, der daraufhin zu einem wichtigen Förderer Bruckners wurde, zu dem berühmten Ausruf „Er hätte uns prüfen sollen“ angeregt haben.[2]

Bruckner hatte nun die technischen Aspekte des Komponierens vollkommen gemeistert und verinnerlicht, fühlte sich aber trotz der zahlreichen bereits verfassten Stücke anscheinend noch nicht sicher genug in der Praxis freier Komposition, sodass er zwecks Weiterbildung auf diesem Gebiet in Linz den Theaterkapellmeister Otto Kitzler aufsuchte. Kitzler, fast zehn Jahre jünger als Bruckner, war ein aufrichtiger Verehrer von Hector Berlioz, Franz Liszt und Richard Wagner, anhand derer Werke er Bruckner die damals modernen Methoden der Komposition und Instrumentation demonstrierte. Auch Ludwig van Beethoven, Robert Schumann und Felix Mendelssohn Bartholdy waren wichtige Eckpfeiler dieses Unterrichts. Während dieser Zeit hielt Kitzler seinen Schüler immer wieder zum Komponieren an (bezeichnenderweise hatte zuvor Simon Sechter jegliche freie Komposition während der Lektionen verboten). So entstanden unter anderem die ersten größeren Instrumentalwerke: ein Streichquartett, eine Ouvertüre und die sogenannte Studiensinfonie. Nach Fertigstellung dieses Werkes 1863 ließ Kitzler Bruckners Studien als erfolgreich absolviert gelten. Zwischen 1864 und 1868 entstanden nun mit den drei großen Messen in d-Moll, e-Moll und f-Moll sowie der Sinfonie Nr. 1 c-Moll die ersten Meisterwerke des Komponisten Bruckner.

Durch Kitzler mit Wagners Musik in Kontakt gekommen, hatte Bruckner inzwischen die Partituren des Tannhäusers und des Fliegenden Holländers studiert und sich von den Werken stark beeindruckt gezeigt. Im Juni 1865, anlässlich einer Aufführung von Tristan und Isolde in München, lernte er den verehrten Komponisten schließlich persönlich kennen. Wagner akzeptierte wohlwollend Bruckners Anhängerschaft und übertrug ihm und seiner Liedertafel „Frohsinn“ drei Jahre später sogar die konzertante Uraufführung der Schlussszene der Meistersinger von Nürnberg (4. April 1868). Die zahlreichen Tätigkeiten als Organist, Chorleiter und Komponist hatten ein knappes Jahr zuvor allerdings ihren Tribut gefordert: Bruckners Kräfte waren so überanstrengt worden, dass er sich 1867 einer Erholungskur unterziehen musste.

1868 erlebte Bruckners erste Sinfonie unter der Leitung des Komponisten eine recht erfolgreiche Uraufführung, die der berühmte Wiener Kritiker Eduard Hanslick positiv rezensierte. Allerdings blieb die Resonanz ansonsten gering; und Bruckner wollte seine Kompositionen einem größeren Publikum, als in der Provinz möglich, bekannt machen. Da außerdem durch Sechters Tod im September des vorhergehenden Jahres dessen Posten als Professor für Musiktheorie (Generalbass und Kontrapunkt) und Orgelspiel am Wiener Konservatorium wie auch die Hoforganistenstelle frei geworden waren, fasste Bruckner den Entschluss, der Nachfolger seines ehemaligen Mentors zu werden und nach Wien zu ziehen.


Bruckner in Wien (1868–1896)


Bruckner und Wagner 1873 in Bayreuth; Silhouette von Otto Böhler
Bruckner und Wagner 1873 in Bayreuth; Silhouette von Otto Böhler
„Der Künstler wallt im Sonnenschein, die Tintenbuben hinterdrein.“
Karikatur von Otto Böhler auf Bruckner und seine Kritiker (Eduard Hanslick, Max Kalbeck und Richard Heuberger), in Anlehnung an den Struwwelpeter
„Der Künstler wallt im Sonnenschein, die Tintenbuben hinterdrein.“
Karikatur von Otto Böhler auf Bruckner und seine Kritiker (Eduard Hanslick, Max Kalbeck und Richard Heuberger), in Anlehnung an den Struwwelpeter
Bruckner-Porträt von Josef Büche, 1893
Bruckner-Porträt von Josef Büche, 1893

In Wien angekommen, wurden ihm die erhofften Arbeitsstellen sofort zugesprochen. Außer dem familiären Schicksalsschlag, dass seine Schwester Anfang 1870 in seiner Wohnung starb,[A 2] stellten sich in den ersten Jahren künstlerische Erfolge ein: 1869 unternahm Bruckner als Orgelvirtuose äußerst erfolgreiche Konzertreisen nach Nancy und Paris, und 1871 nach London. Die Uraufführungen der e-Moll-Messe in Linz (1869) und der Messe in f-Moll in Wien (1872) wurden mit Beifall aufgenommen. Die Zeit in der k. u. k. Reichshauptstadt begann also vielversprechend für den Komponisten und ließ noch nicht viel von den späteren Kämpfen um seine Anerkennung ahnen.

Die Situation für Bruckner wurde erst problematisch, als er begann, den Wienern seine Sinfonien bekannt zu machen. So erregte die unter Leitung des Komponisten 1873 durch die Wiener Philharmoniker uraufgeführte Sinfonie Nr. 2 c-Moll (eine 1869 noch als zweite gezählte d-Moll-Sinfonie, heute als nullte Sinfonie bekannt, hatte Bruckner inzwischen verworfen) schon einiges Missfallen bei der Musikkritik. Eduard Hanslick, der Bruckner in der Linzer Zeit noch mit Wohlwollen begegnet war, verhielt sich ihm gegenüber nun immer distanzierter. Vollends zum Bruch zwischen beiden kam es 1877, als Bruckner seine – Richard Wagner in äußerst unterwürfigem Wortlaut gewidmete – dritte Sinfonie uraufführte, was zum größten Misserfolg seiner Karriere wurde. Hanslick war ein entschiedener Gegner der Neudeutschen Schule, zu deren maßgeblichen Repräsentanten Wagner gehörte, und sah in Bruckner dieser Widmung wegen von nun an einen gefährlichen Wagner-Epigonen, den es aufzuhalten galt. Seine Kritiken von Bruckner-Werken schlugen in fanatische Ablehnung um. Als tonangebender Kritiker Wiens beeinflusste er viele seiner Kollegen auf für Bruckner negative Weise. Bruckner galt jetzt zahlreichen Kritikern als „Wagnerianer“ und, wie sich bald zeigen sollte, als Gegenspieler des von Hanslick verehrten Johannes Brahms, der sich 1872 endgültig in Wien niedergelassen hatte. Nur ein kleiner Kreis von Freunden und Förderern setzte sich weiterhin für den Komponisten ein. Dazu gehörten neben dem damaligen Minister für Unterricht und Kultus Karl von Stremayr, dem Bruckner 1878 die fünfte widmete, welcher Bruckners Berufung als Lektor an die Wiener Universität bestätigt hatte,[5] einige wenige Dirigenten (etwa Hans Richter) als auch seine Schüler am Konservatorium und viele Studenten der Wiener Universität, an der Bruckner seit 1875 als Lektor für Musiktheorie gut besuchte Vorlesungen hielt.

Erst mit den erfolgreichen Uraufführungen der vierten Sinfonie und des Streichquintetts F-Dur (1881) gelang es Bruckner, sich auch bei seinen Gegnern wieder halbwegs Respekt zu verschaffen, doch die Frontstellung zwischen den „Brahmsianern“ und den „Wagner- und Brucknerianern“ sollte sich bis zum Ende fortsetzen. Der Organist Bruckner konnte sich dessen ungeachtet jedoch eines anhaltenden Ruhmes erfreuen, wie eine 1880 unternommene Konzertreise in die Schweiz demonstriert.

Der große Durchbruch für Bruckners Musik kam aber erst durch die Uraufführung der Sinfonie Nr. 7 im Jahr 1884 durch den jungen Dirigenten Arthur Nikisch zustande, die bezeichnenderweise in Leipzig (also fernab des Wiener „Kampfplatzes“) stattfand. Die fünfte und sechste Sinfonie wurden dagegen erst Jahre nach dem Tod des Komponisten zum ersten Mal aufgeführt. Nachdem allerdings Hermann Levi in München 1885 der Siebenten endgültig zum Siegeszug verholfen hatte, Hans Richters Aufführung des Te Deum im folgenden Jahr in Wien ebenfalls ein glänzender Erfolg geworden war, setzte sich Bruckners Musik allmählich sowohl im In- als auch im Ausland durch. Kaiser Franz Joseph I. zeigte sich vom Te Deum sogar so beeindruckt, dass er Bruckner dafür das Ritterkreuz des Franz-Joseph-Ordens verlieh.[6][A 3] Mittlerweile wurde man auch wieder auf Bruckners frühere Sinfonien aufmerksam. Bevor der Komponist jedoch die erste und dritte für neue Aufführungen freigab, unterzog er sie gründlichen Revisionen; ebenso die achte Sinfonie, deren ursprünglicher Entwurf von Levi abgelehnt wurde, worauf Bruckner eine neue Fassung schuf, die Richter 1892 erfolgreich in Wien dirigierte.


Letzte Jahre


Bereits gegen Ende der 1880er Jahre hatte sich Bruckners Gesundheitszustand allmählich verschlechtert. Es wurden bei ihm unter anderem Diabetes und Herzschwäche diagnostiziert. Der Komponist musste sich von seinen Ämtern an der Universität, dem Konservatorium und der Hofkapelle immer häufiger beurlauben lassen. 1891 ging er als Konservatoriumsprofessor in den Ruhestand, 1892 schied er aus dem Hoforganistenposten aus, und zwei Jahre später hielt er seine letzte Vorlesung an der Universität. Sein Lebensinhalt wurde nun die Komposition seiner neunten Sinfonie, der er seit 1887 nachgegangen war. Er erhielt nun vielfach Ehrungen, so 1891 den Titel eines Ehrendoktors der Wiener Universität. Außerdem wurde Bruckner 1895 vom Kaiser das Privileg zugestanden, mietfrei eine Wohnung im Schloss Belvedere zu beziehen. Hier verbrachte er sein letztes Lebensjahr. Mit unermüdlicher Schaffenskraft schrieb der Komponist weiterhin an seinem Werk, doch von der neunten Sinfonie wurden nur noch die ersten drei Sätze fertig; der vierte Satz blieb ein Fragment.

Bruckner starb am 11. Oktober 1896 um 16:00 Uhr – laut Sterbebuch an einem Herzklappenfehler.[7] Seine sterblichen Überreste wurden, seinem Testament gemäß, einbalsamiert. In der im Namen seiner Geschwister Rosalia und Ignaz verfassten Parte ist zu lesen, dass er am 14. Oktober vom Trauerhause (III. Bezirk, Heugasse Nr. 3, Oberes Belvedere) in die Karlskirche überführt und eingesegnet wurde, die nochmalige Einsegnung und Beisetzung erfolgte am 15. Oktober 1896 in der Stiftsbasilika von St. Florian.[8][A 4] Bruckners Sarkophag, der unterhalb der Orgel aufgestellt ist, trägt am Sockel die Aufschrift Non confundar in aeternum („In Ewigkeit werde ich nicht zuschanden“, die Schlusszeile des Tedeums).


Persönlichkeit


Bruckners Ankunft im Himmel, Silhouette von Otto Böhler
Bruckners Ankunft im Himmel, Silhouette von Otto Böhler

Bruckners unbeschwerte Jugend wurde jäh durch die fortschreitende Krankheit des Vaters beendet. Früh musste er den Vater in einigen Funktionen vertreten. Zudem zeigt sich bereits an ihm auch ein Charakterzug seiner Mutter: ein gewisser Hang zur Schwermut.[9] Neben seiner Liebe zu formalen Dingen versuchte er, zusätzliche materielle Sicherheit, ohne je Not gelitten zu haben, durch viele Examina, Zeugnisse und Empfehlungsschreiben zu gewinnen. Bis weit ins Erwachsenenalter hinein war sich Bruckner seiner musikalischen Berufung offensichtlich nicht sicher. So schrieb er „die merkwürdigsten Bewerbungen“, z. B. an die k.k. Organisierungskommission, bei der er in „submissester Devotion“ um eine Kanzlistenstelle bat, „da er diesen Beruf schon lange in sich“ fühlen würde. Einen Stellenwechsel verknüpfte er immer wieder mit einer Rücktrittsmöglichkeit zu seinem vorhergehenden Dienstherrn.[9]

Trotz seiner Erfolge litt Bruckner sein ganzes Leben an Minderwertigkeitsgefühlen und einem tiefen Einsamkeitsgefühl. Zudem führte ihn sein Schaffensdrang oft an den Rand des Verkraftbaren: So begab er sich beispielsweise von Juni bis August 1867 zur Heilung seiner Nervenkrise drei Monate in die Kaltwasserheilanstalt Bad Kreuzen bei Grein.[10] So ist es auch nicht verwunderlich, dass über ihn viele Anekdoten kursieren und schon seinen Zeitgenossen schien sein Verhalten zeitweise sonderbar und kurios.

Bruckner war ein tief in der religiösen Tradition der katholischen Kirche verwurzelter Mensch. Seine demütige Liebe zu Gott wird aus seinen zahlreichen Kalendernotizen über täglich gesprochene Gebete ersichtlich. So missbilligte er auch allzu derbe Scherze, die seiner Auffassung eines „reinen“ Lebens widersprachen.[9] Auch sein Lebensstil war mönchisch bescheiden, sein Gottvertrauen gab Bruckner Kraft, die zahlreichen Anfeindungen seiner Gegner auszuhalten. Andere Religionen, wie das Judentum, hinterfragte der strenggläubige Christ Bruckner nicht: Er war – anders als der von ihm verehrte Richard Wagner – kein völkischer Antisemit.

Die demütige Haltung des Komponisten gegenüber Autoritäten zeigte sich auch darin, dass er seine 7. Sinfonie dem bayerischen König Ludwig II., die 8. Sinfonie dem Kaiser Franz Joseph und die 9. Sinfonie dem lieben Gott widmete, „wenn er sie nehmen mag“, wie der Komponist dazu sagte. Letztere Widmung ist allerdings nicht von Bruckners eigener Hand überliefert.[10]

Die Rolle von Frauen in Bruckners Leben erscheint widersprüchlich. Er verfasste zeit seines Lebens schriftliche Heiratsanträge, vorzugsweise an junge Frauen um die 20, war aber durchwegs erfolglos. Sie ähneln seinem rastlosen Drängen nach Anerkennung als Musiker, nur konnte er die von ihm verehrten Frauen mit Zeugnissen und ähnlichem nicht beeindrucken.[10] Seinem ehemaligen Lehrer Otto Kitzler entgegnete er einmal, als dieser ihn auf seine „ungeregelten Verhältnisse“ ansprach: „Lieber Freund, ich habe keine Zeit, ich muss jetzt meine Vierte schreiben!“.[11]

Bruckner litt an verschiedenen Zwangsneurosen. So ist zum Beispiel überliefert, dass er unter Zählzwang (Arithmomanie) litt, welcher sich unter anderem in den durchgängig nummerierten Taktperioden zahlreicher seiner Partituren niederschlug.

Auf Bruckner lastete die verbreitete Ansicht, er sei zwar musikalisch hochbegabt, doch letztlich nie seiner provinziellen Herkunft entwachsen. Die gerne kolportierte Beschreibung „halb Genie, halb Trottel“ stammt jedoch nicht, wie vielfach angenommen, von Gustav Mahler, sondern von Hans von Bülow.[12] Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass er ausgebildeter Lehrer mit einer Zulassung für höhere Schulen war und als solcher zur oberen Bildungsschicht gehörte, lässt sich sein Verhalten auch anders interpretieren. Er könnte sich in Wien durch ein bäuerlich anmutendes, ungeschickt erscheinendes Benehmen, das er noch mit Tragen seiner Kurzhaarfrisur und überweiten Anzügen unterstrich, gegenüber ihm feindlich gesinnten Menschen, wie etwa dem Musikkritiker Hanslick, bewusst abgegrenzt haben.[10][9]


Bruckner als Musikpädagoge und Organist


Bruckner war als Lehrer für Musiktheorie am Wiener Konservatorium hoch geschätzt. Zu seinen wichtigsten Schülern zählten:

Gustav Mahler und Hugo Wolf, die oft als Bruckners Schüler genannt werden und zweifellos große Bewunderung für ihn hegten, hörten zwar häufig seine Vorlesungen an der Universität, gehörten jedoch nicht zu seiner Unterrichtsklasse am Konservatorium. Bruckners Unterrichtsstil galt als sehr streng und traditionsorientiert. Er folgte im Großen und Ganzen den Methoden seines Mentors Simon Sechter. So verbot auch er seinen Schülern die freie Komposition, während sie bei ihm studierten. Trotzdem hegten viele von ihnen zu ihm ein freundschaftliches Verhältnis.

Der Organist Bruckner war in ganz Europa für sein virtuoses Spiel berühmt. Seine herausragendste Fähigkeit war die Improvisation. Viele Themen seiner Sinfonien sollen ihm beim Improvisieren eingefallen sein. Oft improvisierte er große Fugen an der Orgel, auch von Fantasien über eigene Themen, Themen Richard Wagners und bekannte Vaterlandslieder, berichten Zeitzeugen. Leider zeichnete er die Improvisationen später nicht auf, sodass neben einigen erhaltenen Skizzen nur noch ein nach einem Brucknerschen Improvisationsthema entstandenes Präludium und Doppelfuge in c-Moll seines Schülers Friedrich Klose Aufschluss über diese Kunst gibt.

Bruckners Repertoire fremder Orgelkompositionen war im Gegensatz zu seiner Tätigkeit als Improvisator sehr begrenzt und umfasste lediglich einige Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy, Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel. Die Zahl seiner als gesichert geltenden Orgelkompositionen beschränkt sich auf nur fünf Werke.


Werk und Wirkung


Bruckner-Denkmal im Stadtpark, vereinfacht nach Vandalisierung
Bruckner-Denkmal im Stadtpark, vereinfacht nach Vandalisierung

Der Komponist Anton Bruckner gehört zu den großen Einzelgängern der Musikgeschichte. Nachdem er seinen typischen Stil gefunden hatte, verlief sein Schaffen in einer stetigen Evolution völlig unabhängig von zeitgenössischen Strömungen, weswegen man sich seiner Bedeutung für die spätere Musikgeschichte erst rückwirkend bewusst wurde.

Aus Bruckners kompositorischem Werk ragen die insgesamt elf Sinfonien hervor, von denen er neun als gültig betrachtete. In diesen Werken sah er selbst seine wichtigsten Kompositionen. Auffällig an seinem Œuvre ist die offensichtliche Zweiteiligkeit in vor 1864 und nach 1864 entstandene Werke. Die vor dem 40. Lebensjahr des Komponisten entstandenen Kompositionen sind vorrangig Vokalmusik. Es finden sich mehrere Messen und zahlreiche Motetten darunter sowie eine große Zahl weltlicher Chorwerke, meist für Männerchor.

An den geistlichen Werken ist deutlich der im damaligen Oberösterreich gebräuchliche, besonders den Messen der Wiener Klassik verpflichtete Kirchenmusikstil abzulesen. Sie zeugen von gediegener Qualität und handwerklichem Talent, lassen sogar auch schon eine persönliche Handschrift erkennen. Als wohl wichtigste dieser Stücke können das 1848 verfasste Requiem, die Missa solemnis von 1854 und die Vertonung des 146. Psalms von 1858 bezeichnet werden.

Die weltlichen Musiken geben einen guten Einblick in das Chorvereinswesen der damaligen Zeit. Der entscheidende Wendepunkt in Bruckners Schaffen fällt in die beginnenden 1860er Jahre, als Bruckner Studien in freier Komposition bei Otto Kitzler nahm, denn zu dieser Zeit begann er, die sinfonische Orchestermusik für sich zu entdecken. Nach einer später verworfenen f-Moll-Sinfonie widmete er sich vorerst wieder der Kirchenmusik und komponierte 1864 mit der d-Moll-Messe sein Schlüsselwerk. In dieser Komposition zeigt sich zum ersten Mal in seinem Schaffen die Synthese aus überkommener Kirchenmusiktradition und dem neuen, sinfonisch geprägten Orchesterstil Bruckners.

Zwei Jahre später vollendete er seine erste Sinfonie. Damit war seine Entwicklung zum Sinfoniker abgeschlossen, denn diese Gattung erhielt nun fast die ganze Aufmerksamkeit des Komponisten. Zwar hat er später auch auf anderen Gebieten Meisterwerke geschaffen, wie das Te Deum (1884) oder das Streichquintett F-Dur (1878), doch sind diese Stücke meist durch Aufträge anderer angeregt worden und in ihrer Kompositionsweise sichtlich von den Sinfonien beeinflusst.


Bruckner als Sinfoniker


Beethoven und Bruckner. Fenster im Neuen Dom in Linz
Beethoven und Bruckner. Fenster im Neuen Dom in Linz
Währinger Straße 41. Hier entstand auch ein Teil der nullten Sinfonie.
Währinger Straße 41. Hier entstand auch ein Teil der nullten Sinfonie.
Sarkophag Anton Bruckners in der Stiftskirche von St. Florian
Sarkophag Anton Bruckners in der Stiftskirche von St. Florian
Marmorplatte in der Stiftskirche von St. Florian
Marmorplatte in der Stiftskirche von St. Florian
3. Sinfonie, 3. Satz (Auszug)

Die besondere Leistung des Komponisten Anton Bruckner ist in seiner Weiterentwicklung der Gattung der Sinfonie zu sehen. Er war außerdem der erste Komponist der Musikgeschichte, der sich ihr (fast) ausschließlich widmete. Die Sinfonie befand sich zur Zeit Bruckners in einer Art Krise: Die Komponisten fühlten sich gerade in dieser Musikgattung von den entsprechenden Werken Ludwig van Beethovens so sehr überschattet und eingeengt, dass sie sie in ihrem Œuvre meist nur vorübergehend streiften und auf andere Schaffensgebiete auswichen. Viele begannen sogar gänzlich an ihrem Fortbestehen zu zweifeln (z. B. Franz Liszt) und versuchten mit dem Verfassen von sinfonischen Dichtungen, die Sinfonie zu umgehen.

Richard Wagner erklärte, die Sinfonie könne nur im Rahmen eines Gesamtkunstwerkes in Verbindung mit Bühnenbild und Gesang weiter existieren; seine Musikdramen verwirklichten dieses Konzept exemplarisch. Erst mit Bruckner und – etwas später – Johannes Brahms wurden neue Ansätze zur Weiterentwicklung gefunden. Während Brahms jedoch die Gattung ausgehend von seinen Erfahrungen auf dem Gebiet der Kammermusik heraus neu zu kreieren begann, war Bruckners Ansatz von ganz anderer Art:

Hinsichtlich der Form wahrt Bruckner das von den Wiener Klassikern überkommene Modell des viersätzigen Sinfonieschemas, füllt es aber mit neuen Inhalten. Seine Sinfonien wurden und werden überwiegend als absolute Musik betrachtet. Schon zu Bruckners Lebzeiten warfen Kritiker ihm allerdings oft vor, in seinen Sinfonien Elemente des „Dramatischen“ über Gebühr zu verwenden. Die Bruckner-Rezeption und -Forschung ist bis heute über diese Frage zerstritten. Neueren Ergebnissen verschiedener Forscher zufolge (Martin Geck, Constantin Floros, Hartmut Krones u. a.) handelt es sich bei den Bruckner-Sinfonien jedoch eher um Werke, die Aspekte des Absoluten und Programmatischen verbinden. Sie entsprechen eher dem Typus der im 19. Jahrhundert verbreiteten „Charakteristischen Sinfonie“ als einer Abfolge von Szenen und Bildern im Sinne einer dramatisch-epischen Gesamtanlage. Bruckner steht demnach in einer Traditionslinie mit Werken wie der Eroica und der Pastorale von Ludwig van Beethoven, der Symphonie fantastique von Hector Berlioz, der Schottischen Sinfonie von Felix Mendelssohn Bartholdy und der Faust-Sinfonie von Franz Liszt.

Oft wurde auf die Ähnlichkeit von Bruckners Sinfonien untereinander hingewiesen, denn anders als bei Beethoven oder Brahms, deren Sinfonien sich in Anlage und Charakter gegeneinander abgrenzen, sind diejenigen Bruckners eher auf den Zusammenhang der Werke angelegt. Es lässt sich deshalb auch an ihnen stets ein in den Grundzügen gleiches Formschema nachweisen, das jeweils individuell in jeder einzelnen Sinfonie behandelt wird:


Rezeption


Viktor Tilgners Bruckner-Denkmal im Wiener Stadtpark, Zustand 1908
Viktor Tilgners Bruckner-Denkmal im Wiener Stadtpark, Zustand 1908

Zu Lebzeiten genoss Bruckner zunächst nur den Ruf eines der größten Orgelvirtuosen seiner Zeit. Seine Anerkennung als Komponist musste er sich dagegen mühsam erkämpfen. Lange Jahre wurden seine Sinfonien (im Unterschied zu den Messen und Motetten) nicht ernst genommen und wurde ihr Schöpfer für einen unzeitgemäßen Sonderling gehalten – was er letztlich, nur in positiverer Hinsicht, ja auch war – und von maßgeblichen Kritikern verspottet. Obwohl seine letzten Lebensjahre von immer größerem Erfolg gekennzeichnet waren, fand doch eine ernsthafte Würdigung von Bruckners Schaffen erst im 20. Jahrhundert statt. Zu tief waren zu seinen Lebzeiten noch die Gräben zwischen den Anhängern Richard Wagners und denen von Johannes Brahms mit ihrem Wortführer Eduard Hanslick.

Das Problem Anton Bruckners war, dass er in keine der beiden Parteien passte: Zwar gehörte er zu den größten Verehrern Wagners, blieb jedoch von dessen Stil und Musikphilosophie so gut wie unbeeinflusst – was schon allein daran erkennbar ist, dass er die von Wagner eigentlich totgesagte Sinfonieform verwendete; andererseits unterschied Bruckner sich auch zu sehr von Brahms, den er als Konkurrenten empfand, obwohl beide im Grunde ähnliche Konzepte absoluter Musik vertraten. So wurde er simpel, sowohl von Gegnern wie von Anhängern, zu den Wagnerianern gerechnet und zog sich damit die unerbittliche Feindschaft Hanslicks zu. Dass es keine Animositäten zwischen Brahms und Bruckner gab, wird durch folgende zwei Berichte gezeigt:

  1. Bruckner verwendete etwa Brahms’ Kopfthema zu dessen 1. Klavierkonzert (d) im Konservatorium für satztechnische Übungen mit dem (ja „beinahe“ zutreffenden) Hinweis, dies sei eigentlich ein Thema „für eine Symphonie“.
  2. Bernhard Paumgartner erzählte (im ORF), er sei als Achtjähriger bei der Trauerfeier zum Tode Bruckners zugegen gewesen, als auch Brahms, unbemerkt, sich hereingeschlichen, hinter einer Säule verborgen eine Zeit die Andacht mitverfolgt und sich vor ihrem Ende hinweggestohlen habe – mit tränenbenetztem Barte.

Bruckner ist neben Brahms und Wagner derjenige Komponist des späten 19. Jahrhunderts, dessen Schaffen wohl am richtungweisendsten für die folgende Entwicklung der abendländischen Musik wurde. Besonders die neunte Sinfonie zeigte sich als für ihre Zeit außergewöhnlich modern. In ihrem dritten Satz antizipiert Bruckner bereits die äußerst chromatische Tonsprache des frühen Arnold Schönberg, auch hat dessen Zwölftontechnik dem Hauptthema dieses Satzes nicht unwesentlich viel zu verdanken. Gustav Mahlers ausdrucksstarke Monumentalsinfonik ist undenkbar ohne Bruckners gründliche Vorarbeit auf diesem Gebiet. Vom „Bruckner-Rhythmus“, der sich in der sechsten und neunten Sinfonie zu regelrechten Klangteppichen ausweitet, ließ sich Jean Sibelius für ähnlich rhythmisch verschlungene Strukturen in seinen Sinfonien anregen. In der folgenden Komponistengeneration ist Bruckners Einfluss besonders bei Vertretern des musikalischen Neoklassizismus anzutreffen, allen voran Paul Hindemith und Johann Nepomuk David, die vor allem Bruckners Sinn für klare Formgebung auf sich wirken ließen. Letztendlich war Bruckner auch großes Vorbild konservativerer Komponisten des 20. Jahrhunderts wie Franz Schmidt, Richard Wetz, Wilhelm Furtwängler, Wilhelm Petersen oder Martin Scherber, die seinen Stil zur Grundlage ihrer jeweils individuellen Fortführung desselben nahmen. Selbst Dmitri Schostakowitsch ist ohne Bruckner kaum denkbar. Ebenfalls zum großen Teil ein Verdienst Bruckners war es, dass er durch seine Messen und vor allem sein Te Deum die geistliche Musik konzertsaalfähig machte.

Die Bedeutung Bruckners für die gesamte spätere Musik wurde in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg eher in den Hintergrund gerückt, da die Nationalsozialisten Bruckners Musik als „arisch-deutsch“ bezeichneten und ähnlich wie diejenige Beethovens und Wagners für propagandistische Zwecke missbrauchten. So wurde nach der Bekanntmachung von Adolf Hitlers Tod am 1. Mai 1945 das Adagio der siebenten Sinfonie (dessen Coda als Trauermusik für Wagner konzipiert wurde) im Rundfunk übertragen. Man ging sogar so weit, Bruckners Typus (klein, untersetzt, Hakennase) als eigene Unterart des Ariers zu definieren, die besonders gut für die Musik geeignet sei. Als das nicht mehr genügte, wurde Bruckner als groß und stark beschrieben, was natürlich eine komplette Verfälschung der Tatsachen darstellte.

Viele Komponisten jedoch getrauten sich in der frühen Nachkriegszeit nicht, sich auf Bruckner zu berufen. So wurde statt seines oft der Name des von ihm deutlich beeinflussten Gustav Mahler genannt. Sehr bald schon begann man jedoch, Bruckner und sein Werk wieder objektiver zu beurteilen, weshalb sich seine Musik wieder ungebrochen großer Beliebtheit in den Konzertsälen der Welt erfreut. Als wichtige Interpreten der Bruckner-Sinfonien gelten u. a. Bruno Walter, Volkmar Andreae, Carl Schuricht, Otto Klemperer, Wilhelm Furtwängler, Eugen Jochum, Herbert von Karajan, Kurt Eichhorn, Günter Wand, Sergiu Celibidache, Carlo Maria Giulini, Gennadi Rozhdestvensky, Georg Tintner, Stanisław Skrowaczewski, Bernard Haitink, Nikolaus Harnoncourt, Eliahu Inbal, Hortense von Gelmini, Toshiyuki Kamioka, Takashi Asahina, Simone Young, Gerd Schaller, Mariss Jansons, Daniel Barenboim, Christian Thielemann, Markus Poschner, Rémy Ballot und Herbert Blomstedt.


Das Problem der Fassungen


Bruckner pflegte die meisten seiner Sinfonien auch nach der Fertigstellung weiter zu bearbeiten. Die Gründe dafür waren verschiedener Art. Manchmal hielt er das Werk in der ersten Fassung für unvollkommen, sodass er sich in der Folgezeit an eine oder mehrere Überarbeitungen derselben Komposition machte. Die Ausmaße solcher Überarbeitungen reichen von einem bloßen Feilen am Detail, vorgenommen unter einem fließenden Wandel der Vorstellung (vor allem in Periodik und Instrumentation), bis zu beinahe komplett neuen Partituren ganzer Sätze. Vor allem in der vierten Sinfonie ist Letzteres der Fall: Im Laufe der Bearbeitung dieses Werkes komponierte Bruckner einen gänzlich neuen Scherzosatz, und vom Finale sind nur noch die Themen übrig geblieben – ihre Verarbeitung und damit auch der Charakter dieses Satzes sind von der ursprünglichen Konzeption vollkommen verschieden. Während der Komponist aus eigenem Antrieb auch mit der ersten und dritten Sinfonie auf ähnliche Weise verfuhr, so trieb ihn meist aber die Aussicht auf eventuellen Erfolg dazu, seine ursprünglichen Pläne noch einmal zu überdenken: So wurde der erste Entwurf der Achten von dem Dirigenten Hermann Levi zurückgewiesen, worauf Bruckner kurzerhand eine neue Fassung erstellte, mit der dem Werk auch der Durchbruch gelang.

Die Erstfassungen zeichnen sich in der Regel durch größere Unmittelbarkeit aus sowie dadurch, dass sie auf die aufführungspraktischen Möglichkeiten der Zeit kaum Rücksicht nehmen. Die späteren Fassungen wirken folglich in dieser Hinsicht geglättet, zeugen aber oft von dem mittlerweile gewachsenen Können Bruckners und strahlen meist eine stärker verinnerlichte Atmosphäre aus als die Frühfassungen. Während diese häufig mehr Wert auf die architektonische Balance der Komposition legen, bemühen sich die späteren Fassungen stärker um kürzere und konzisere Abläufe. Vor allem in der dritten Sinfonie ist das zu bemerken. Seit den 1960er Jahren bemüht sich die Bruckner-Forschung um die Auswertung der verschiedenen Fassungen. Wichtig waren auf diesem Gebiet besonders die Arbeiten Leopold Nowaks.

Die Anfänge der Bruckner-Rezeption waren jedoch durch verfälschende Ausgaben seiner Werke geprägt. Die Hauptverantwortlichen dafür waren Bruckners Schüler Ferdinand Löwe sowie die Brüder Joseph und Franz Schalk. Sie erstellten zusätzlich zu Bruckners Fassungen noch eigenhändige Bearbeitungen zahlreicher Sinfonien, in denen sie für gewöhnlich das Klangbild weitgehend dem wagnerschen Ideal gemischter Orchesterfarben annäherten und große, nicht selten sinnentstellende Kürzungen vornahmen. Dafür hatten sie meist auch Bruckners Erlaubnis, denn die Änderungen waren durchaus gut gemeint und sollten dem Komponisten zu größeren Erfolgen beim Publikum verhelfen. Allerdings schlug diese Absicht oft ins Gegenteil um und sorgte für das lang anhaltende, u. a. durch Felix Weingartner verbreitete Fehlurteil, Bruckners Sinfonien wären Meisterwerke, wären sie nicht so sehr zerstückelt und formlos. Bruckners originale Konzeption kam erst seit dem denkwürdigen Konzert von 1932 unter Siegmund von Hausegger zum Vorschein, in dem dieser den von Löwe bearbeiteten Erstdruck und Bruckners Autograph der drei vollendeten Sätze der neunten Sinfonie einander gegenüberstellte. In der Folge wurde dann durch Robert Haas erstmals eine kritische Gesamtausgabe veröffentlicht, die den niedergelegten Notentext des Komponisten wiedergab. Die Schalk- und Löwe-Fassungen sind mittlerweile der Vergessenheit anheimgefallen.


Posthume Ehrung


Brucknerkopf von Franz Strahammer beim Brucknerhaus in Linz
Brucknerkopf von Franz Strahammer beim Brucknerhaus in Linz

Bruckner als Namensgeber

Sonstiges

Bruckner-Denkmal in Steyr
Bruckner-Denkmal in Steyr

Werke (Auswahl)


Bruckners Werke werden im „Werkverzeichnis Anton Bruckner“ (WAB) zusammengefasst und strukturiert. Einige kleine Frühwerke, die im sogenannten „Kitzler-Studienbuch“ dokumentiert sind (Lieder, Klavierstücke, Quartett-Sätze und anderes), sind lange unveröffentlicht geblieben. Das Manuskript befand sich in Privatbesitz. Die Österreichische Nationalbibliothek konnte die wertvolle Originalhandschrift 2013 erwerben. Ein Faksimile des Manuscripts ist 2015 in der Bruckners Gesamtausgabe herausgebracht.[18]


Orchesterwerke



Vokalmusik


Geistlich

Weltlich


Kammermusik



Sonstiges


Sowie 5 Präludia Es-Dur (WAB 127 und 128), um 1836, vermutlich nicht von Bruckner
Sowie 16 andere Klavierstücke im Kitzler-Studienbuch[18]

Literatur


(alphabetisch)



Commons: Anton Bruckner – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikiquote: Anton Bruckner – Zitate

Biographien, Werkbeschreibungen

Diskographien, Werkverzeichnisse

Notenausgaben

Gesellschaften


Fußnoten



Anmerkungen


  1. Joseph Anton kam um 4:15 Uhr zur Welt und wurde am selben Tag um 17:00 Uhr in der Pfarrkirche zum hl. Valentin getauft (Taufbucheintrag S. 12 ist mit einem Rufzeichen [„!“] versehen).[1]
  2. Bruckner wohnte 1868–1876 im 9. Bezirk, Währinger Straße 41, 1877–1895 im 1. Bezirk, Heßgasse 7,[3] neben dem Ringtheater, dessen Brand am 8. Dezember 1881 ihn tief erschütterte, und in seinem letzten Lebensjahr im 3. Bezirk, Heugasse 3 (Oberes Belvedere).
    Maria Anna Bruckner, genannt Nani (* 27. Juni 1836; † 16. Jänner 1870 in Wien), hatte ihm ab 1866 in Linz und dann in Wien den Haushalt geführt.[4]
  3. Zitat: „Se. k. und k. Apostolische Majestät haben mit Allerhöchster Entschließung vom 8. Juli d. J. dem Mitgliede der Hofmusikcapelle, Organisten Anton Bruckner das Ritterkreuz des Franz-Joseph-Ordens allergnädigst zu verleihen geruht.“
  4. Text der Parte: Vom tiefsten Schmerze gebeugt, geben die Unterzeichneten Nachricht vom Hinscheiden ihres innigstgeliebten Bruders, des Herrn Prof. Anton Bruckner Ehren-Doctor der Philosophie der k.k. Universität in Wien, Ritter des Franz Josef-Ordens, k.k. Hoforganist, Mitglied der k.u.k. Hofmusik-Capelle, Lector für Harmonielehre und Contrapunkt an der Universität Wien, Ehrenbürger von Ansfelden und Linz etc. welcher am Sonntag, den 11. October 1896, um 4 Uhr Nachmittags, nach langem schmerzvollen Leiden und Empfang der heiligen Sterb-Sacramente im 73. Lebensjahre selig in dem Herrn entschlafen ist. Die irdische Hülle des uns theueren Verblichenen wird Mittwoch den 14. d.M., um 3 Uhr Nachmittags, vom Trauerhause: III. Bezirk, Heugasse Nr. 3, oberes Belvedere, in die Pfarrkirche zu St. Carl Borromäus überführt, daselbst feierlichst eingesegnet, worauf die Beisetzung in die Stiftskirche St. Florian in Oberösterreich nach nochmaliger Einsegnung und Requiem erfolgt. Die heiligen Seelenmessen werden Donnerstag den 15. d.M., um 10 Uhr Vormittags, in obgenannter Pfarrkirche sowie in mehreren anderen Kirchen gelesen. Wien, den 12. October 1896. Rosalie Hueber, geb. Bruckner als Schwester.
  5. Os justi … (WAB 30) widmete er Ignaz Traumihler, einem Anhänger des Cäcilianismus.[20] Denn Bruckner schätzte Traumihler persönlich, lehnte aber die Ziele des Cäcilianismus ab. Mit dem Os justi … gab er vor, dieselben zu verfolgen: meisterlich komponierte er ein rein diatonisches Werk, in dem kein Septakkord oder verminderter Akkord aufscheint, und fertigte eine Kopie in 'Alten Schlüsseln' an, die schon aus der Mode gekommen waren. Bruckner hatte mit seinem Os justi … eines der anspruchsvollsten a-cappella-Chorwerke der gesamten Kirchenmusik geschaffen und seine Überlegenheit, auch gegenüber dem Cäcilianismus, bewiesen. In einem Brief wies er dann noch mit beißender Ironie darauf hin, dass er doch alles „genau nach Vorschrift“ komponiert habe.

Einzelnachweise


  1. Pfarrarchiv Ansfelden, Taufbuch 04 (IV), Geburten 1819–1826. S. 12, 2. Zeile (mit einem Rufzeichen versehen). In: matricula-online.eu. Abgerufen am 7. Februar 2021 (Bildnummer A20GGGG04_00009).
  2. Er hätte uns prüfen sollen! Abgerufen am 12. Dezember 2019.
  3. Bruckner Gedenktafel. Abgerufen am 4. September 2020.
  4. Elisabeth Maier: Anton Bruckner als Linzer Dom- und Stadtpfarrorganist, Aspekte einer Berufung. Mit einem Beitrag von Ikarus Kaiser: Der Dom- und Stadtpfarrkapellmeister Karl Borromäus Waldeck und die Orgel der Stadtpfarrkirche in Linz. In: Theophil Antonicek, Andreas Lindner, Klaus Petermayr (Hrsg.): Anton Bruckner, Dokumente und Studien, Band 15. Wien 2009. S. 60f.
  5. Auffindung einer Bruckner-Partitur. In: Die Zeit, Beilage Abendblatt, Nr. 767/1904, 14. November 1904, S. 2, Mitte unten (Online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/zei
  6. Amtlicher Theil.. In: Wiener Zeitung, 10. Juli 1886, S. 1 (Online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/wrz
  7. Pfarrarchiv St. Karl Borromaeus (Pfarre 04), Sterberegister (Signatur 03–15), 1887–1897. S. 197, vorletzte Zeile. In: matricula-online.eu. Abgerufen am 7. Februar 2021 (Bildnummer 02-Tod_0197).
  8. Wien. Auf anton-bruckner.heimat.eu, abgerufen am 1. Februar 2016
  9. Hans-Hubert Schönzeler: Bruckner. Musikwissenschaftlicher Verlag, Wien 1974, ISBN 3-900270-00-2.
  10. Karl Laux: Bruckner. Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 1947.
  11. Anton Bruckner und die Frauen – Pech in der Liebe, Glück in der Musik. In: CulturaLista! 8. September 2019, abgerufen am 14. September 2019.
  12. Hans-Joachim Hinrichsen: »Halb Genie, halb Trottel«. Hans von Bülows Urteil über Anton Bruckner. In: IBG-Mitteilungsblatt. Nr. 55, Dezember 2000, S. 2124.
  13. William Carragan: The Bruckner Brand, Part 1 – The Three-Theme Exposition
  14. William Carragan: The Bruckner Brand, Part 2 – The Five-Part Song Form
  15. brucknerbund-ansfelden.at
  16. https://bruckner.webs.com/bthon2000.html, abgerufen am 16. Juni 2022.
  17. Hermann Goldbacher: Denkmäler, Gedenktafeln, Inschriften in: Tausend Jahre Steyr. Festschrift anlässlich des Stadtjubiläums, herausgegeben vom Verein „Tausend Jahre Steyr“. Druck- und Verlagsgesellschaft Gutenberg, Linz 1980, S. 32–33
  18. Bruckners Gesamtausgabe: Kitzler-Studienbuch Faksimile
  19. Bruckners Gesamtausgabe: Kleine Kirchenmusikwerke
  20. elbling-verlag.de: OS JUSTI (WAB 30) (SATB)
  21. Bruckners Gesamtausgabe: Lieder und Weltliche Chöre
  22. Bruckners Gesamtausgabe: Frühe Orchesterwerke und Instrumentalstücke

Personendaten
NAME Bruckner, Anton
ALTERNATIVNAMEN Bruckner, Josef Anton (vollständiger Name)
KURZBESCHREIBUNG österreichischer Komponist
GEBURTSDATUM 4. September 1824
GEBURTSORT Ansfelden, Österreich
STERBEDATUM 11. Oktober 1896
STERBEORT Wien

На других языках


- [de] Anton Bruckner

[en] Anton Bruckner

Josef Anton Bruckner (German: [ˈantoːn ˈbʁʊknɐ] (listen); 4 September 1824 – 11 October 1896) was an Austrian composer, organist, and music theorist best known for his symphonies, masses, Te Deum and motets. The first are considered emblematic of the final stage of Austro-German Romanticism because of their rich harmonic language, strongly polyphonic character, and considerable length.[1] Bruckner's compositions helped to define contemporary musical radicalism, owing to their dissonances, unprepared modulations, and roving harmonies.

[es] Anton Bruckner

Josef Anton Bruckner ( [ˈantɔn ˈbʁʊknɐ] (?·i) Ansfelden, 4 de septiembre de 1824 - Viena, 11 de octubre de 1896), fue un compositor, profesor y organista austriaco. Compuso sinfonías románticas con una condición barroca empleando el contrapunto aprendido en el órgano. Su posición estilística se encuentra dividida entre los progresistas, seguidores de Wagner, y los conservadores, seguidores de Brahms. Su afán de perfeccionismo y las críticas que recibía le hacían modificar sus obras una y otra vez, con lo cual existen múltiples versiones de una misma obra.

[ru] Брукнер, Антон

Анто́н Бру́кнер (нем. Anton Bruckner; 4 сентября 1824, Ансфельден, Верхняя Австрия — 11 октября 1896, Вена) — австрийский композитор, органист и музыкальный педагог, известный в первую очередь своими симфониями, мессами и мотетами. Его симфонии часто считаются символом заключительного этапа австро-немецкого романтизма в силу своего богатого гармонического языка, сложной полифонии и значительной продолжительности.



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