Hans-Jürgen von Bose (* 24. Dezember 1953 in München) ist ein deutscher Komponist.
Bose entstammt dem ehemaligen Adelsgeschlecht von Bose. Seine Vorfahren aus dieser Linie waren Vater Hans-Jürgen von Bose (1923-ca. 2000), Großvater Herbert von Bose und Urgroßvater Hans-Jürgen von Bose.[1]
Nach einer von zahlreichen Ortswechseln und Internatsaufenthalten geprägten Kindheit bekam Bose 1969 am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt am Main Unterricht in Klavier und Musiktheorie. Nach dem Abitur studierte er Komposition (Hans Ulrich Engelmann), Klavier (Klaus Billing) und Dirigieren an der Musikhochschule Frankfurt. Auf die erstmalige Teilnahme an den Darmstädter Ferienkursen 1974 und Uraufführung seines 1. Streichquartetts folgten mehrere Stipendien, so der Mozart-Stiftung und der Studienstiftung des Deutschen Volkes. 1976 brach von Bose das Studium in Frankfurt ab und siedelte als freischaffender Künstler nach München um.
Das Duo für Bratsche und Violoncello „Threnos“ erhielt 1976 den ersten Preis beim Kompositionswettbewerb Sommerliche Musiktage Hitzacker, seine Kammeroper Blutbund (1974) wurde 1977 in der Opera Stabile in Hamburg uraufgeführt; ab 1977 werden seine Kompositionen international aufgeführt. Die in der Folge entstehenden Werke wurden begleitet von Stipendien der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo (1980/1985), wie Morphogenesis (1976), Das Diplom (1976), 63:Dream Palace (1990) und Die Nacht aus Blei (1981) als Auftragswerk der Deutschen Oper Berlin, das 1984 im Auftrag des WDR verfilmt wurde. Dafür wurde ihm der Kritikerpreis für Musik des Verbandes der Deutschen Kritiker verliehen. Zum 100. Jubiläum der Berliner Philharmoniker komponierte er das Auftragswerk Idyllen (1982/83); ein Jahr später entstanden die Sappho-Gesänge für Mezzosopran und Klavier sowie eine Fassung für Kammerorchester, die bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt wurden. Im gleichen Jahr erhielt er den Förderpreis des Hessischen Kulturpreises und den Förderpreis für Musik der Landeshauptstadt München. 1983/84 folgte die Komposition der Oper Die Leiden des Jungen Werthers nach Johann Wolfgang von Goethe von Filippo Sanjust, die an der Hamburger Staatsoper uraufgeführt und bei den Schwetzinger Festspielen 1986 gezeigt wurde. In den 1980er Jahren ist von Bose Jurymitglied der Sommerlichen Musiktage Hitzacker sowie Dozent bei Jugend komponiert in Weikersheim. Nach einer Gastprofessur für Komposition am Salzburger Mozarteum trat er 1992 als Ordinarius für Komposition an der Hochschule für Musik und Theater München die Nachfolge Wilhelm Killmayers an (bis 2007).
Hans-Jürgen von Bose lebte und arbeitete nach vollzogener Frühpensionierung im Jahr 2007 in Berlin und anschließend in der Uckermark; 2012 wurde er als Professor an der Hochschule für Musik und Theater München reaktiviert.[2] Seit 2011 lebt er in Zorneding, einem Vorort Münchens.
Wie im Jahr 2018 publik wurde, wurde von Bose von der Staatsanwaltschaft München wegen mehrfacher Vergewaltigung und Drogenbesitz in nicht geringem Umfang angeklagt.[3][4] Der Prozess begann am 13. November 2020 vor der dritten Strafkammer am Landgericht München I.[5] Am 10. Dezember 2020 wurde von Bose in Bezug auf die Vergewaltigungen freigesprochen.[6] Der Klägerin bescheinigte die Strafkammer, dass die drei Sexualkontakte gegen ihren Willen erfolgten.[7]
Hans-Jürgen von Boses Musik ist in den frühen Werken gekennzeichnet durch das Neben- und Ineinander von strukturellen und klangsinnlichen Elementen. Die Abwendung von der seriellen Kompositionsweise und das Eintreten für eine subjektive Semantik wurde seit den Darmstädter Ferienkursen 1978 als „Neue Einfachheit“ bezeichnet (dies galt auch für weitere Komponisten wie Wolfgang Rihm und Detlev Müller-Siemens), wobei die Konnotation dieses Begriffes die Strukturalität und die komplexe Zeitbehandlung der Kompositionen nicht abdecken konnte. Die unter dem Schlagwort „Neue Subjektivität“ bekannte Strömung setzte in den 70er Jahren, im Konsens gegen ein konstruktiv serielles Denken, erhebliche Impulse für einen neuen Materialbegriff, der sich von einem objektiven Materialverständnis abwandte. Mit der 1990 entstandenen Oper 63: Dream Palace beginnt von Bose mit verschiedenen, auch historischen, Stilelementen und Referenzen zu arbeiten. Die Heterogenität der Postmoderne wird somit durch die Verarbeitung unterschiedlicher Stilelemente reflektiert. Als ein Höhepunkt dieser Periode ist die Oper Schlachthof V (1996) zu sehen, deren Libretto auf dem Roman Schlachthof 5 oder der Kinderkreuzzug von Kurt Vonnegut basiert.
Die Brückenbildung zwischen Moderne und Postmoderne zeigt sich als ein signifikantes Moment des Boseschen Werkes.
Die Technik der Stilkopie verwendet Bose hier im Sinne einer Expansion der eigenen musikalischen Sprache, nicht jedoch im Gestus einer Aufgabe der künstlerischen Eigentümlichkeit. Hier zeigt sich eine Neuinterpretation des postmodernen Diskurses. Wurde die allgemeine Haltung der Postmoderne mehrheitlich als die Unmöglichkeit verstanden neuartige künstlerische Ideen zu schaffen, weswegen es in einer nachgeschichtlichen Zeit nur die Möglichkeit gäbe historisches Material zu verarbeiten, stellt Schlachthof 5 diese Verarbeitung als eine neue (positive) künstlerische Haltung dar. Die französische poststrukturalistische Philosophie und ihre Theorie des „Tod des Autors“ (Roland Barthes) machen hierin ihren Einfluss deutlich. Den „Personalstil“ bezeichnet von Bose als ein „hoffentlich bald zu überwindendes Relikt des 19. Jahrhunderts“.[8] Analog hierzu werden die historischen Allusionen in Schlachthof 5 nicht collagiert, sondern amalgamiert und überlagert. Die historischen Grenzen des Materials werden nicht gewahrt und berücksichtigt. Bezugnehmend auf den Begriff Rhizom, der von den Philosophen Deleuze und Guattari geprägt wurde, definiert von Bose in Schlachthof 5 die künstlerischen Wurzeln als vielfach verästelte und heterogen strukturierte.
Signifikant für Boses Schaffen generell und Schlachthof 5 im Besonderen ist die Behandlung zeitlicher Komplexität. Das lineare Zeitverständnis wird abgelöst durch Simultaneität, analog zu dem „zeitspastischen“ Verständnis des Protagonisten Billy Pilgrim. Von Bose lässt darüber hinaus Erkenntnisse aus der Chaostheorie, Neurobiologie und der Astrophysik in sein polymorphes Zeitverständnis einfließen, die über die Musik hinaus in der Strukturierung des Librettos umgesetzt wurden. Die von Sergej Eisenstein etablierte Form des Filmschnitts wird hier – auch kompositorisch – verwendet, damit verschiedene Ebenen „schnell und hart gegeneinandergeschnitten“ (Ebenda, S. 353) werden können, die in kompositorischen Schichtungen und Verwebungen weitergeführt werden. Der Komponist spricht in diesem Zusammenhang von einem „Zeit – Palimpsest“ (Ebenda, S. 353).
Die Oper entstand als Auftragswerk der Bayerischen Staatsoper und eröffnete 1996 die Münchner Opern-Festspiele (Regie: Eike Gramss).
Detlev Müller-Siemens und Wolfgang von Schweinitz (1986) | Ensemble Modern (1987) | Hans-Jürgen von Bose (1988) | Herbert Henck und Walter Zimmermann (1989) | Adriana Hölszky (1990) | Gruppe Neue Musik Hanns Eisler (1991) | Ulrich Stranz (1992) | Steffen Schleiermacher und Ensemble Avantgarde (1993) | Jörg Birkenkötter und Hanspeter Kyburz (1994) | ensemble recherche (1995) | Isabel Mundry und Moritz Eggert (1996) | Nomos-Quartett (1997) | Helmut Oehring (1998) | Ensemble 13 (1999) | Michael Riessler und Mike Svoboda (2000) | Babette Koblenz (2001) | Jörg Widmann (2002) | Salome Kammer und Thomas E. Bauer (2003) | Neue Vocalsolisten Stuttgart (2004) | Enno Poppe (2005) | Peter Schöne (2006) | Márton Illés (2008) | Anna Prohaska (2010) | Birke J. Bertelsmeier (2012) | Carolin Widmann (2014) | Gordon Kampe (2016) | Dominik Susteck (2018)
Hans Peter Haller (1989) | Pierre Boulez (1990) | Steffen Schleiermacher (1991) | György Ligeti (1992) | André Richard (1994) | Robyn Schulkowsky (1995) | Wolfgang Rihm (1996) | Mario Davidovsky (1997) | Hans-Jürgen von Bose (1998) | Gottfried Michael Koenig (1999) | Péter Eötvös (2000) | Kaija Saariaho (2001) | Christoph Poppen (2002) | Aleksandra Gryka und Mateusz Bien (2004) | Márton Illés (2005) | Mark Andre (2006) | Jörg Widmann (2007) | Minas Borboudakis und Konstantia Gourzi (2008) | Enno Poppe (2009) | Wilhelm Killmayer (2010) | Adriana Hölszky (2011) | Josef Anton Riedl, Nico Sauer und Luis Codera Puzo (2013) | Isabel Mundry (2014) | Erkki-Sven Tüür (2015) | Georges Aperghis (2016) | Anna Korsun (2017) | Mikis Theodorakis (2018) | Olga Neuwirth (2019) | Peter Michael Hamel (2020)
Michael Jarrell, George Lopez (1990) | Herbert Willi, Ensemble Avantgarde (1991) | Beat Furrer, Benedict Mason (1992) | Silvia Fómina, Param Vir (1993) | Hans-Jürgen von Bose, Marc-André Dalbavie, Luca Francesconi (1994) | Gerd Kühr, Philippe Hurel (1995) | Volker Nickel, Rebecca Saunders (1996) | Moritz Eggert, Mauricio Sotelo (1997) | Antoine Bonnet, Claus-Steffen Mahnkopf (1998) | Thomas Adès, Olga Neuwirth (1999) | Hanspeter Kyburz, Augusta Read Thomas, Andrea Lorenzo Scartazzini (2000) | Isabel Mundry, André Werner, José María Sánchez-Verdú (2001) | Marc André, Jan Müller-Wieland, Charlotte Seither (2002) | Chaya Czernowin, Christian Jost, Jörg Widmann (2003) | Fabien Lévy, Johannes Maria Staud, Enno Poppe (2004) | Sebastian Claren, Philipp Maintz, Michel van der Aa (2005) | Jens Joneleit, Alexander Muno, Athanasia Tzanou (2006) | Vykintas Baltakas, Markus Hechtle (2007) | Dieter Ammann, Márton Illés, Wolfram Schurig (2008) | Francesco Filidei, Miroslav Srnka, Lin Yang (2009) | Pierluigi Billone, Arnulf Herrmann, Oliver Schneller (2010) | Steven Daverson, Hèctor Parra, Hans Thomalla (2011) | Luke Bedford, Zeynep Gedizlioğlu, Ulrich Alexander Kreppein (2012) | David Philip Hefti, Samy Moussa, Marko Nikodijević (2013) | Simone Movio, Brigitta Muntendorf, Luis Codera Puzo (2014) | Birke Bertelsmeier, Mark Barden, Christian Mason (2015) | Milica Djordjević, David Hudry, Gordon Kampe (2016) | Michael Pelzel, Simon Steen-Andersen, Lisa Streich (2017) | Clara Iannotta, Timothy McCormack, Oriol Saladrigues (2018) | Annesley Black, Ann Cleare, Mithatcan Öcal (2019) | Catherine Lamb, Francesca Verunelli, Samir Amarouch (2020)
Personendaten | |
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NAME | Bose, Hans-Jürgen von |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Komponist |
GEBURTSDATUM | 24. Dezember 1953 |
GEBURTSORT | München |