Siegfried Matthus (* 13. April 1934 in Mallenuppen, Ostpreußen; † 27. August 2021 in Stolzenhagen[1]) war ein deutscher Komponist und Dramaturg.
Leben und Wirken
Herkunft
Die Eltern von Siegfried Matthus waren Landwirte mit einem Gehöft. Die Mutter verdiente mit Schneidern etwas dazu, der Vater spielte in der Schenke zum Tanz auf, am Wochenende auch über Land. Mit neun Jahren wurde Siegfried Matthus zum Klavierunterricht geschickt. Am 22. Oktober 1944 floh er mit seiner Familie vor den heranrückenden Truppen der Roten Armee in den Westen.[2] Nach einer schweren Übergangszeit wurden die Eltern Neubauern in Läsikow im Landkreis Ruppin. Der Vater lehrte ihn Geigen- und Trompetenspiel so weit, dass er eine Nacht mit dem üblichen Repertoire Musik machen und dabei auch improvisieren konnte.
Studium und Beruf
Nach der Grundschule besuchte er bis zum Abitur die Oberschule in Rheinsberg, auf der er in der zwölften Klasse die Leitung des Schulchors übernahm, für den er auch komponierte. Von 1952 bis 1958 studierte Matthus an der Deutschen Hochschule für Musik in Ost-Berlin Chor- und Ensembleleitung, seit 1956 auch Komposition bei Rudolf Wagner-Régeny. Von 1958 bis 1960 war er Meisterschüler von Hanns Eisler und danach bis 1964 freischaffender Komponist.
Für Rundfunksendungen zum Bau der Berliner Mauer lieferte Matthus propagandistische Beiträge.[3]
Walter Felsenstein holte ihn 1964 an die Berliner Komische Oper, wo Matthus in Zusammenarbeit mit Götz Friedrich und Harry Kupfer lange als Berater (Dramaturg) für zeitgenössische Musik und Komponist wirkte. 1972 übernahm er eine Meisterklasse an der Akademie der Künste der DDR. Mit der Reihe Kammermusik im Gespräch wurde er von 1966 bis 1988 zum Pionier der Modernen Klassischen Musik in der DDR. 1985 wurde er zum Professor ernannt. Zu seinen Schülern gehören Bernd Franke, Thomas Hertel, Walter Thomas Heyn und Reinhard Pfundt.
1969 wurde er Mitglied der Deutschen Akademie der Künste in Berlin (Ost), wo er ab 1972 eine Meisterklasse dieser Akademie leitete und Sekretär der Sektion Musik war. 1976 wurde er auch Mitglied der Akademie der Künste Berlin (West) sowie 1978 Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München.
1990 initiierte er die Gründung der Kammeroper Schloss Rheinsberg mit Opernwerkstatt und Aufführungen, deren künstlerischer Leiter er seit der Gründung bis 2014 war. Am 1. September 2014 übernahm sein Sohn Frank Matthus die Leitung.[4] 2007 erhielt die neue Veranstaltungshalle im Hafendorf Rheinsberg den Namen Siegfried-Matthus-Arena.
Familie
Er war ab 1957 mit der Sängerin Helga Matthus verheiratet und wohnte in Stolzenhagen und in Berlin. Sein Sohn Frank Matthus (* 1964) ist Schauspieler und Theaterregisseur.[5] Siegfried Matthus starb nach längerer schwerer Krankheit im August 2021 im Alter von 87 Jahren.
Auszeichnungen
1959: Bronze-Medaille bei den Weltfestspielen der Jugend und Studenten in Wien
1963: Ernst-Zinna-Preis der Stadt Berlin
1966: 1. Preis im Berliner Kompositionswettbewerb zu Ehren des 20. Jahrestages der SED
1968: Kritikerpreis der Berliner Zeitung
1969: Hanns-Eisler-Preis des Rundfunks der DDR
1969: Johannes-R.-Becher-Medaille in Gold
1970: Kunstpreis der DDR
1972: Nationalpreis der DDR III. Klasse für Kunst und Literatur
1974: Ehrennadel des Verbandes der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR in Silber
1979: Vaterländischer Verdienstorden
1980: Kunstpreis des FDGB
1984: Nationalpreis der DDR II. Klasse für Kunst und Literatur
1984: Ehrenbürger der Stadt Rheinsberg
1996: Preis der Internationalen Theaterinstituts Berlin (ITI)
1997: Kulturpreis der Landsmannschaft Ostpreußen für Musik
1998: Deutscher Kritikerpreis
2000: Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
2015: Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland[7]
Werke (Auswahl)
Matthus komponierte etwa 600 Musikwerke, die ihn zu einem der bekanntesten Komponisten der DDR machten. Er befasste sich mit Dodekaphonie, Serieller Musik und historischen Kompositionsverfahren von Bach bis Strauss, fühlte sich aber später einer freien Atonalität verpflichtet und arbeitete mit sieben- bis elf-tönigen Reihen. Er erfreute sich hoher Aufführungszahlen und wurde auch vom Publikum akzeptiert.
Opern
1960–1963: Lazarillo von Tormes
1966/1967: Der letzte Schuss, Uraufführung: Komische Oper Berlin, Regie: Götz Friedrich
1971: Noch einen Löffel Gift, Liebling? (Komische Kriminaloper von Peter Hacks nach der Komödie Risky Marriage von Saul O’Hara), Uraufführung: Komische Oper Berlin, Regie: Götz Friedrich
1972–1974: Omphale (von Peter Hacks)
1983/1984: Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke (nach Rainer Maria Rilkes Erzählung Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke), Uraufführung: Semperoper, Regie: Ruth Berghaus
1982–84: Judith (nach Friedrich Hebbel), Uraufführung: Komische Oper Berlin, Regie: Harry Kupfer
1990/1991: Desdemona und ihre Schwestern (nach Christine Brückner), Uraufführung: Komische Oper Berlin, Regie: Götz Friedrich
1998: Farinelli oder die Macht des Gesanges
1998/1999: Kronprinz Friedrich (Libretto von Thomas Höft), Kammeroper Schloss Rheinsberg, Regie: Götz Friedrich
2004: Die unendliche Geschichte (nach Michael Endes Roman Die unendliche Geschichte im Auftrag des Kultusministeriums von Rheinland-Pfalz, Libretto von Anton Perrey)
2019: Effi Briest (nach dem gleichnamigen Roman von Theodor Fontane, im Auftrag des Staatstheaters Cottbus, Libretto von Frank Matthus)[8]
Sonstige Kompositionen
zahlreiche Lieder, Ouvertüren, Hörspiel- und Fernsehmusiken
1963: Kleines Orchesterkonzert
1968: Violinkonzert
1969: Dresdner Sinfonie (1970 neues Finale)
1970: Klavierkonzert
1975: Cellokonzert
1976: Zweite Sinfonie
1977: Orchesterkonzert Responso
1982: Konzert für Trompete, Pauken und Orchester (zur 100-Jahr-Feier der Berliner Philharmoniker)
1984: Der Wald, Paukenkonzert
1985: Divertimento für Orchester (für die Salzburger Festspiele)
1985: Die Windsbraut (für die Münchner Philharmoniker)
1989: Der See Harfenkonzert
1993: Sinfonie Unser Mund soll von Weisheit reden und unser Herz in Liebe sein (Gewandhaussinfonie)
1994: Manhattan Concerto (für die Manhattan School in New York)
1996: Streichquartett Das Mädchen und der Tod
2002: Concerto for Two für Trompete und Posaune
2005: De vacuo spatio (Musikalische Metaphern nach Texten von Otto von Guericke, zur 1200-Jahr-Feier der Stadt Magdeburg)
2005: Phantastische Zauberträume – ein saxofonisches Märchen (für Kieler Philharmoniker)
2005: Te Deum (zur Weihe der wieder aufgebauten Dresdner Frauenkirche)
2006: Song der Fußballjungen für drei Frauenstimmen und Orchester, UA am 8. Februar 2006, Berlin
2007: Lamento (Auftragswerk der Münchner Philharmoniker)
2008: Feuermusik für Streichorchester
2009: Konzert für Fünf für Bläserquintett und Orchester (Auftragswerk der Stiftung Berliner Philharmoniker; uraufgeführt am 28. Mai 2009 in Berlin).
2009: Neun sinfonische Intermezzi zu Schillers Ode an die Freude (Auftragswerk des Akademischen Orchesters Leipzig, UA am 9. November 2009, Gewandhaus Leipzig)
2010: Grete Minde nach Theodor Fontane für Solisten, Chor und Orchester (UA am 22. Mai 2010, Neuruppin)
2011: Konzert für Posaunenquartett und Orchester „Vier Wildschweine zerstören das Paradies“ (UA am 9. März 2012, Saalfeld)
2012: Konzert für Violine und Orchester „Traum einer Sommernacht“, gewidmet der Geigerin Viviane Hagner (Auftragswerk der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, UA am 26. August 2012, Ulrichshusen)
2013: Schweriner Konzert, Auftragswerk der Mecklenburgischen Staatskapelle aus Anlass ihres 450-jährigen Bestehens. UA am 21. Mai 2013, Schwerin
2015: Von der Macht des Gesangs für Vokalsolisten, Chor und Orchester. Zum 200. Jahrestag der Gründung der Singakademie Frankfurt (Oder), UA am 1. März 2015, Frankfurt (Oder)
2015: Epimetheus oder Die Geburt der Hoffnung aus der Musik, Kantate für vier Gesangssolisten, Chor und Orchester (Auftragswerk der Ruhr-Universität Bochum aus Anlass ihres 50-jährigen Bestehens, UA am 24. Juni 2015, Bochum)
Theatermusik
1965: Brendan Behan: Die Geisel – Regie: Günter Rüger (Hans Otto Theater Potsdam)
1968: Ariano Suassuna: Das Testament eines Hundes – Regie: Friedo Solter (Deutsches Theater Berlin)
Hörspielmusik
1963: Thorbjørn Egner: Annette und die wilden Räuber – Regie: Fritz Göhler (Kinderhörspiel – Rundfunk der DDR)
1965: Vercors: Zoo oder Der menschenfreundliche Mörder – Regie: Edgar Kaufmann (Rundfunk der DDR)
1965: Peter Weiss: Die Ermittlung – Regie: Wolfgang Schonendorf (Rundfunk der DDR)
1971: Gerhard Rentzsch: Das Amulett – Regie: Wolf-Dieter Panse (Hörspiel – Rundfunk der DDR)
Filmmusik
1968: Wege übers Land
1976: Die Leiden des jungen Werthers
1978: Ich zwing dich zu leben
Literatur
Matthus, Prof. Siegfried. In: Wilfried W. Bruchhäuser: Komponisten der Gegenwart im Deutschen Komponisten-Interessenverband. Ein Handbuch. 4. Auflage, Deutscher Komponisten-Interessenverband, Berlin 1995, ISBN 3-55561-410-X, S. 840.
Dieter Härtwig:Matthus, Siegfried. In: Friedrich Blume (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG). Erste Ausgabe, Band 16 (Supplement 2: Eardsen – Zweibrücken). Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a. 1976, DNB 550439609, Sp.1225–1226
Eckart Kröplin: Operntheater in der DDR. Zwischen neuer Ästhetik und politischen Dogmen. Henschel 2020. ISBN 978-3-89487-817-7
Ulrike Liedtke: Siegfried Matthus im Munzinger-Archiv(Artikelanfang frei abrufbar). In: Komponisten der Gegenwart (KDG). Edition Text & Kritik, München 1996, ISBN 978-3-86916-164-8.
Torsten Musial:Matthus, Siegfried. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band2. Ch.Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
Matthus, Siegfried. In: Brockhaus-Riemann Musiklexikon. CD-Rom, Directmedia Publishing, Berlin 2004, ISBN 3-89853-438-3, S. 6539.
Frank Schneider: Siegfried Matthus, in: Ders.: Momentaufnahme, Notate zu Musikern in der DDR. Reihe Kunstwissenschaften, Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1969, S. 123–142.
Frank Schneider: Siegfried Matthus. In: Dietrich Brennecke, Hannelore Gerlach, Mathias Hansen (Hrsg.): Musiker in unserer Zeit. Mitglieder der Sektion Musik der Akademie der Künste der DDR. Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1979, S. 171 ff.
Matthus, Siegfried. In: Axel Schniederjürgen (Hrsg.): Kürschners Musiker-Handbuch. 5. Auflage, Saur Verlag, München 2006, ISBN 3-598-24212-3, S. 299.
Annette Thein:Matthus, Siegfried. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 11 (Lesage – Menuhin). Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a. 2004, ISBN 3-7618-1121-7(Online-Ausgabe, für Vollzugriff Abonnement erforderlich)
Frank Schneider: Siegfried Matthus, in: Ders.: Momentaufnahme, Notate zu Musikern in der DDR. Reihe Kunstwissenschaften, Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1969, S. 125.
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